Wie ich hurtig dem Polarlicht nachjagte
Boah, sowas passiert echt nur mir! Zur Sicherheit noch einen Akku für die Kamera in den Leih-Thermoanzug gesteckt. Man weiß ja nie, was man nachts aufm Schlitten alles fotografieren kann. Und hinterher aus dem Ding gepellt und alles vergessen. Akku inklusive. Zum Glück schlepp ich ja drei davon durch die Welt. Da waren’s nur noch zwei, denn die Übergabe mit den Husky-Farmern hat natürlich kurz vor Abfahrt des Schiffes nicht mehr hingehauen.
Mit der Hurtigrute in See stechen
Nach nächtlicher Hundeschlittenfahrt und Stadtspaziergang mit Karina ging es am Freitagabend also an Bord der MS Polarlys. Schiffsname ist Programm: Dem Polarlicht wollen wir nachjagen oder begegnen. Und das mit einer Hurtigrute, einem Fracht- und Passagierschiff, dem Traum vieler Reisenden, die die norwegische Küste zwischen Bergen im Süden und Kirkenes ganz im Norden entspannt entlang schippern möchten. „Die Hurtigrute wartet nicht“ hat man uns in den letzten 36 Stunden schon mehrfach gesagt. Trotzdem legen wir das eine Mal mit Verspätung ab, Autos mussten noch eingeladen werden. Frage mich, ob das Auto, das Brian May vom Flughafen abgeholt hatte, wohl eins davon ist? Auf Stars wartet das Schiff bestimmt…
Leben an Bord
Man kennt das: Abendessen vom Buffet oder in mehreren Gängen, teurer Alkohol, hauptsächlich ältere Herrschaften an den Tischen drumherum. Vor dem Cafe trifft man die jungen Lehrerinnen, die ihre Frischvermählten zum Karten- und Siedlerspiel auf so ein Schiffchen geschleppt haben. Der schönste Ort ist auf Deck 7, abgesehen von meinem Kajütenbett in Kabine 353. Auf dem obersten Deck gibt es draußen das Sonnendeck und drinnen die Panoramalounge. Letztere macht im Winter ja dann doch mehr Spaß ;) Erstere benötigt man dennoch, wenn man Polarlichter aufnehmen möchte. Ich bin eigentlich hundemüde und möchte in die Koje, aber uneigentlich habe ich noch genau zwei Nächte um Aurora borealis einzufangen.
Die erste Jagd aufs Polarlicht
Ich setze mich also in die abgedunkelte Panoramalounge, wo die kleinen Sternchenlampen in der Decke ein bisschen Wärme vorgaukeln. Neben mir steht die Kamera, aufs Stativ montiert, mit Weitwinkel und Fernauslöser versehen – alles bereits eingestellt. Der Plan ist: warten bis ich durch die riesigen Panoramafenster was Schleierhaftes sehe, dann rausrennen aufs Sonnendeck, in Stellung bringen und losschießen. Toller Schlachtplan. Um kurz nach Mitternacht brennen die Augen, es ist nichts zu sehen, wir ankern vor einem Minihafen irgendwo zwischen 69. und 70. Breitengrad. Für diese Nacht gebe ich auf. Grüne Schleier geistern immerhin durch meine Träume.
Kurs aufs Nordkap
Tags darauf zeigt uns das Nordmeer, wer hier seetauglich ist und wer nicht. Die Hälfte der Truppe verzichtet auf Speisen und bevorzugt die waagerechte Position. Ich habe kein Problem mit Schaukeln, versuche mir lieber Farben vorzustellen. Draußen vorm Fenster ziehen schneebedeckte weiße Felsen und Miniinseln vorüber. Sie sitzen in schwarzem Wasser, darüber ziehen graue Wolken – der reinste Schwarzweiß-Film! Ich brauche Farbe!
Gegen Mittag kommt zum bewegenden Seegang der völkerwandlerische Landgang. Wir legen in Honningsvag, dem nördlichsten Städtchen Europas an und besteigen mit der halben Hurtigruten-Passagierfracht fünf Ausflugsbusse, die einen Schneeflug vorgespannt bekommen. Wir tuckern vorrüber an der nördlichsten Tankstelle, dem nördlichsten Supermarkt, dem vermutlich ebenfalls nördlichsten Stockfisch-Gestell und dem nördlichsten Strand Europas. An dieser Copacabana hat es jedoch auch im Sommer nicht mehr als 6 Grad.
Vorhersage fürs Nordkap: Stürmisch
Der Schneeflug frisst sich durch die Schneemassen, hinterlässt dabei bushohe weiße Wände, Schneeallee. Wo der Schnee niedriger liegt, sehen wir abwechselnd Sonne am blauen Himmel oder Schneegestöber auf den Fenstern. Die Aussicht fürs Nordkap: stürmisch. Im Winter ist nicht ganz so viel los am Kap. Die tägliche Hurtigruten-Ausfahrt nimmt die Angestellten des Shops, der Kantine und des Thaimuseums jeweils mit zum Arbeitsort, die Straße dahin ist nämlich gesperrt und mehr als diesen einen Run pro Tag gibt es nicht. Um 13 Uhr erstürmen wir den Stahlglobus am beinahe nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes im Sturm, buchstäblich. Wie bei den meisten Kaps handelt es sich auch hier nur um eine Ungefähr-Angabe. Genau gegenüber auf einer Halbinsel ist das eigentliche Nordkap. Wie ich kurz vorher erfahren habe, hat das Nordkap eine Livecam. Vor der stand ich dann alle 15 Minuten, um meinem Freund zuhause am PC mal zuzuwinken.
Der Ausflug zum Nordkap dauert eine Stunde, drei mit Hin- und Rückfahrt. Leider ist man am Kap kaum allein und die Gruppendynamik verhindert jegliches Gefühl an einem Endpunkt angekommen zu sein. Aufgrund von Schneesturm und Wind hat man auch wenig Nerv aufs Unendlichkeit verheißende Meer zu schauen. Enden von Kontinenten stell ich mir immer einsam vor. Naja, vermutlich haben sich das die anderen 200 Leute auch gedacht.
Der Fisch steuert mit
Zurück an Bord besuchen wir die Brücke samt Aquarium und Goldfischen, die angeblich keine Namen haben. Der erste Offizier sah aber so ertappt aus, als ich nach den Fischnamen fragte, dass ich davon ausgehen muss, die beiden heißen Harald und Sonja. Sie testen den Wellengang, wir inspizieren den Frachtraum, in dem sich die Bierfässer zur Begrüßung versammelt haben.
Kabeljau-Zungen mit Unterhaltungswert
Das Highlight des Tages sollte eine Snowmobil-Safari werden. Wegen des Schneegestöbers, das uns schon am Kap eisig umgarnte, fällt der mobile Spaß leider ins gefrorene Wasser. Statt dessen besuchen uns zwei Fischer (kommen in Nebel per Nussschale über den Fjord) auf Deck 7. Dort packen sie acht große Fischköpfe auf die Tische. Kabeljau. Dorsch. Enthauptet. Schon vorher versammelte man sich gespannt fürs Spektakel „Kabeljauzungen hersausschneiden“. Bevor man jetzt angeekelt aufschreit, sag ich’s mit den Worten einer Spätrentnerin, die neben mir stand „klar probiere ich! Man kann nicht immer alles einfach ablehnen.“ Weltoffene kleine Dame. Mochte, wie sie ohne mit der Wimper zu zucken das Schauspiel aufmerksam verfolgte.
Den Fischköpfen werden also die Zungen abgetrennt, eine Tradition der norwegischen Dorschfischerei. Die Backen trennen sie auch heraus. Angeblich ist das alles delikat, nur sind die Fischer meist zu faul dafür, wenn sie den Dorschen schon die Köpfe abgetrennt und die Leiber von Innen nach Außen gestülpt haben, um sie auf Holzgestelle zum Trocknen zu hängen. An den Köpfen machen sich eher die Kids zu schaffen, für die Fummelarbeit mit dem Messer gibt es immerhin Taschengeld. Die Zungen sind gar nicht mal klein, allerdings waren auch die Köpfe schon recht groß. Am Meeresbuffet werden wir sie dann paniert und in Butter gebraten essen – Kabeljauzunge, schmeckt wie Fischstäbchen!
Warten auf das Licht
Und dann wieder das Warten aufs Polarlicht. In der Panoramabar mit Kamera im Anschlag und irgendwann bin ich auch noch in die Skiklamotte gesprungen. Ready zum Knipsen. Und wieder vergehen Stunden, ohne dass die Neonröhre anspringt. So hat mir Karina den elektromagnetischen Mechanismus der Nordlichter erklärt. Wie eine Leuchtstoffröhre. Und je nach chemischem Element, das dabei beteiligt ist, färben sich die Lichter etwas anders. Viel Sauerstoff: grün. Viel Stickstoff: rot. Viel Wolken: schwarz. Viel Küste und Wind: schwarz. Ich gucke immer wieder auf ein paar Wolken am Firmament, aber mehr als ordinäre Wolken werden es nicht.
Als ich anfange diese in der doch etwas kühleren Nacht zu fotografieren, fällt mir wieder ein, weshalb ich im Thermoanzug einen Akku hatte: bei Kälte geht der Saft schnell flöten! Und damit erlischt irgendwann gegen 1 Uhr meine Polarlichtjagd. Ich ziehe sogar die Gardinen in der Kabine zu.
Natürlich scheint am nächsten Morgen kurz vor Einfahrt in Kirkenes die Sonne übern eisscholligen Fjord. Wir sind um einiges weiter landeinwärts… vermutlich gibt es hier heute Nordlichter. Jedoch nicht für mich. Die Hurtigrute checkt uns aus, ab zum Flieger. I’ll be back!
es grüßt, Claudi unerleuchtet
Diese Recherchereise wurde freundlicherweise unterstützt von Hurtigruten
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