Wie ich in Lerwick Troll-Geschichten erzählt bekam
Gestern Mittag kam ich bei Karen und Keith in der Alder Lodge an. Seitdem hängen dunkle Wolken über der Inselhauptstadt Lerwick, aber es nieselt nie lange und es gibt ja immer irgendwo ein Museum, in dem man sich unterstellen kann. Ich habe mich drei Stunden lang untergestellt – im Shetland Museum – und hatte sogar Gesellschaft dabei.
Lerwick Museum: 8000 Jahre Shetland-Geschichte
Cathy vom Lerwick Museum hat mir sehr enthusiastisch von den ausgestellten Steinen, Knochen, Holz und Textilien vorgeschwärmt, durch die sie mich führte. Von der intakten Bootswerkstatt durch die archäologische Abteilung mit einer 5000-jährigen Shetländischen Lucy und kuriosen Moorleichen, zu Jahrhunderte alten Butterfässern und Tamara, der kurzbeinigen Shetland Kuh und einem nachgebauten mittelalterlichen Bauernhauses, in dem die beiden ausgestopften Mäuse täglich neu platziert werden – man soll Spaß an den toten Dingen haben. Und Cathy hat den. Sie bringt das Erbe der Mischkultur wirklich überzeugend rüber.
Wikinger auf den Shetlands
Cathys Meinung: Die Wikinger waren gar nicht böse, die kamen aus reinem Platzmangel her und haben sich brav mit den hiesigen vermutlich Kelten und Picten vertragen und gesiedelt. Zumindest kann niemand das Gegenteil nachweisen. Außerdem sei man stolz, einen alten nordischen Dialekt zu sprechen, wenn auch nur noch in der Familie und eben nicht mehr als die alte Sprache, die dem Dialekt vorausging. Die hätte vermutlich sogar die norwegische Königin verstanden, als sie das Museum vor ein paar Jahren eröffnete.
Aber man hänge auch an den schottischen Wurzeln (ein Wikingerkönig verpfändete einst die Inseln als Mitgift an den schottischen König, seitdem verweigerte Schottland mehrmals die Auszahlungsangebote der Norweger) und das Kulturgut, dass die Schotten brachten. Nicht dass hier irgendjemand Dudelsack spielen würde! Aber man ist stolz auf das Bildungssystem und dass das Öl, das in den 60er vor den Shetlands gefunden wurde, auch Geld für die Insel selbst einbrachte, rechnet man der Regierung auf dem Festland hoch an.
Man lernt so einiges über die Inseln von 6000 v.Chr. bis heute. Cathy holte sogar ganz stolz aus der Rascheltüte eine Spitzen-Stola, die sie selbst geklöppelt hat (ein großes Hobby und lange Tradition der Insulaner, mittlerweile sogar Exportschlager und teures Souvenir) und die gar nicht zum Museumsinventar gehört. Dann musste sie mich abgeben – an Douglas, der mich weitere zwei Stunden durch die Altstadt des kleinen Lerwick führte.
Stadtrundgang Lerwick
Douglas begann seine Ausführungen an der Festung von Lerwick, die nie jemanden verteidigen musste. Die Shetländer waren entweder besonders schreckhaft oder hatten so viel am Stecken, dass sie sich entsprechend auf Gegenwehr einrichteten, bevor sie dumme Sachen anstellten. Wie dem auch sei, weder die napoleonischen Kriege noch der Amerikanische Bürgerkrieg erreichten die Shetlands, obwohl viele Männer Shetlands in diese Kriege eingezogen wurden. Entsprechend ordentlich sieht die Festung heute aus und bietet eigentlich nur einen netten Blick runter aufs Hafengebiet und die Waterfront. Über steile, enge Gassen gelangt man dann auch dorthin. Graue Steinfronten mit bunt lackierten Ladeneingängen sind das auffälligste. Die Lodberries, die alten Lagerhäuser der Fischer und Händler, sind eher unauffällige Gebäude und dienen in erster Linie als Messlatte für den steigenden Wasserspiegel, es wohnen aber auch noch Leute drin.
Ausflug zur Vogelinsel Noss
Vom kleinen Hafen an der Altstadt gehen die Ausflugsboote auf die Nachbarinseln los. Heute Morgen kletterte ich dort zu Alan, Andy und Alfie von Seabirds-and-Seals an Bord. Vater, Sohn und Enkel schipperten an die zehn Leute um die Insel Noss herum, wo sich riesige Kolonien von Basstölpeln, Raubmöwen (Bonxies) und Puffins tummeln. Zwischendurch sah man natürlich die Seehunde und bekam per Unterwasserkamera den Kreislauf des Lebens von Alan erläutert. Obwohl er sich so gut auskennt, taucht er selbst nicht „Ich bin ein Luft atmendes Landlebewesen, ich muss nicht tauchen.“ Und dann brabbelte er noch was von „wünschte, ich hätte es gelernt, als ich jung war.“
Rundfahrt Westteil der Main Island
Nach drei Stunden Vögel gucken und Bonxies füttern, habe ich das Gefährt gewechselt und bin zum Westteil der Insel aufgebrochen. Über schmale Schlängelstraßen vorbei an Ponys, Schafen und Lochs. Und dann kam die Sonne endgültig raus und hat mir die angenehme Autofahrt so richtig versüßt. Zum Glück darf ich diesen Trip mal ohne Babysitter machen und kann daher auch alle 100 Meter halten, um ein weiteres Schaf abzulichten, oder eben auch die Toilette am Ende der Straße und einen der schönsten Strände der Inselwelt.
Storytelling – Märchenabend mit Elma
Dass sich in all dem Gras und Heidekraut wirklich Trolle und Feen verstecken sollen, habe ich erst am Abend erfahren. Da habe ich vier Stunden im gemütlichen Wohnzimmer von Elma Johnson verbracht – mich mit Lammbraten und Rhabarber-Crumble füttern lassen, während Elma und ihre Kollegen Geschichten und Legenden erzählten und sangen und die Fiddle zwischendurch auch noch bemühten. Elma ist eine wirklich lustige alte Dame: derber Humor, laute Stimme, der Boss der Company. Sie besucht oft die Kreuzfahrtschiffe und erzählt dort Geschichten von Trollen, Wikingern, Hexen und den Selkie-Leuten.
Letztere sind eine Mixtur aus Seehund und Mensch – eine Art Meerjungfrauensage. Und wenn sie das Trowie-Lied anstimmt, können sogar manche Besucher mitsingen! Es scheint ein bekanntes Liedgut zu sein: Der Trollbach. Kennt das einer? Wie dem auch sei, der Abend war unglaublich lang, aber sehr spannend! Einen Märchenabend dürfte ich das letzte Mal als Fünfjährige gehabt haben.
Also, immer schön aufpassen, die Trolle warten in der Heide und wenn sie euch einladen: verschmäht das Catering! Ich werde mich jetzt mal ins Bettchen trollen, war ein seeeeeehr langer Tag.
Bis morgen wieder!
Claudi
Diese Recherchereise wurde unterstützt von Visit Scotland. Vielen Dank dafür!