Auf Rembrandts Spuren durch Amsterdam und Leiden
Da muss ich so 16 oder 17 gewesen sein, als ich in meinem Zimmer eine Kopie von Rembrandts „Hundertguldenblatt“ aufhängte. Auf einem meiner Schulhefter klebte eine Kopie von „Faust“, ebenfalls eine Radierung von Rembrandt. Meine Mutter drückte mir damals eine Biografie über den Maler mit der Knollnase in die Hand, da ich ja offensichtlich Interesse hatte. Ich habe selten bis nie gern gelesen. „Zwischen hell und dunkel“ habe ich verschlungen. Ich bin bis heute nicht sicher, ob ich Rembrandts Gemälde und Radierungen mag, weil er wirklich etwas anderes gemacht hat als andere Maler, oder weil ich sein Leben so tragisch fand. Man nimmt Kunst immer anders wahr, wenn man etwas über den Künstler weiß.
2006 war ich zu seinem 400. Geburtstag in Amsterdam. Ich besuchte das Denkmal am Rembrandtsplein und staunte über die „Nachtwache“ in 3D, die ihn dort umringt. Sein buchstäblich größtes Werk hängt natürlich im Rijksmusem, das ich noch immer nicht von Innen gesehen habe. Dafür war ich an diesem Wochenende wieder da, in Amsterdam und auch in Leiden, der Geburtsstadt Rembrandt van Rijns, der sich in Anlehnung an die großen italienischen Maler seiner Zeit nur mit Vornamen als Künstler anreden ließ. Er wusste, er war groß. Er hatte es geschafft – vom Müllerssohn zum millionenschweren Maler.
Auf Rembrandts Spuren durch Leiden
In Leiden marschieren wir mit Stadtführerin Marike an den Grachten entlang und durch Hinterhöfe bis wir zum Rembrandtpark kommen. Hier verlief im 17. Jahrhundert die Stadtgrenze, an der die Mühle der van Rijns stand. Heute steht an der Stelle ein Neubau, an der Mauer ein Rembrandt-Relief, auf dem Platz davor eine Statue, die Rembrandt beim Selbstporträtieren zeigt. Das Geburtshaus selbst stand wohl noch bis 1978 am Platz, war aber schon so oft umgebaut und verändert worden, dass man es ganz wegriss und moderne Wohnhäuser darauf setzte. Lediglich ein Sätzchen an der Wand weist auf den früheren Bewohner hin.
Rembrandts Vater Harmen Gerritszoon war als Müller nicht arm und konnte es sich leisten Kind Nr. 8 von neun auf die Lateinschule in der Lokhorststraat zu schicken. Das Schulgebäude ist mittlerweile ein Hotel und schmückt seine Fenster mit Rembrandts Gesicht. Ein paar Straßen weiter kommt man zum Haus von Jacob van Swanenburgh, dem ersten Meister, bei dem Rembrandt Harmenszoon in die Malerlehre ging. Das schmale Häuschen in der Langebrug 90 wird derzeit verkauft. In der Leidener Universität war er nur kurz eingeschrieben, Philosophie war nicht seins. In Leiden ist also wenig Rembrandt-Spirit zu spüren, schade eigentlich. Es könnte daran liegen, dass Rembrandt nach seinem Tod für seine Kunst eher kritisiert wurde und nur die ersten 25 Jahre seines Lebens in Leiden verbrachte.
Mit Rembrandts Geliebter durch Amsterdams Kanäle
Amsterdam ist da als Wirkungsstätte natürlich prädestinierter, dem bedeutendsten Maler des niederländischen Golden Zeitalters ein Denkmal und Ausstellungen zu stiften. Ja, das ist widersprüchlich. Im Gegensatz zu Van Gogh erlangte Rembrandt vor seinem Tod Ruhm und Ehre und wurde danach von den Kunstkritikern nicht sehr geachtet. Als die Werte seiner Bilder dennoch stiegen und Amsterdam einen Stadthelden brauchte (weil andere Städte bereits ihren Malern Denkmäler gebaut hatten) nahm man sicher seiner an. Seither gibt es in Amsterdam alles mit Rembrandt: Plätze, Straßen, Hotels, Bars, Museen, Ausstellungen, Kunstmärkte, Tulpenzwiebeln, Stadtrundgänge… und noch bis Ende Mai eine Rembrandt Cruise durch die Kanäle. Auf dieser Fahrt lernte ich am vergangenen Wochenende Hendrickje Stoffels kennen, die Haushälterin und Quasi-zweite-Frau Rembrandts.
In 70 Minuten schippert Hendrickje mit ihren Passagieren durch die Grachten Amsterdams und stellt stolz die späten Werke ihres „Meisters“ vor. Sie selbst kam aus der Provinz, heuerte im Haus des damals erfolgreichen Historien- und Portraitmalers als Haus- und Kindermädchen an. Sie erklärt uns, warum sie sich in den Mann mit der roten Knollnase, den wirren Locken und gammeligen Geruch verknallt hat. Sie stritt sich einige Jahre mit dem Kindermädchen um die Gunst des Meisters und verrät uns auch, wie sie die arme Frau aus dem Haus ekelten und in die Klapse einweisen ließen.
Hendrickje kaufte nach Rembrandts Konkurs eine Galerie in der Rozengracht, in der die beiden mit Rembrandts Sohn Titus und der gemeinsamen Tochter Cornelia bis zu ihrer aller Tod lebten. Sie präsentiert uns hier also auch als stolze Galeristin Rembrandts Werke. Wer seine Biografie nicht kennt, lernt, dass er sich selbst viel malte zur Übung, und auch die Verwandtschaft und Bediensteten regelmäßig als die Gesichter seiner biblischen Szenen und Historiengemälde einsetzte. Die Haushälterin führt uns Bilder von sich vor. Die Hochzeit von Sohn Titus findet man in „Die Judenbraut“ wieder.
Späte Ehefrau über späte Werke
Ich mag den derben, überschwänglichen Auftritt der Magd, die da gerade die erste Ehefrau Saskia nachäfft. Die Frau plaudert lebhaft aus dem Nähkästchen, Kostverächter war der Popstar der barocken Kunstwelt wohl nicht, erfährt man so. Hin und wieder zeigt Hendrickje aus dem Fenster des Bootes und weist auf Häuser, in denen Klienten von Rembrandt lebten oder die Blaue Brücke, die er malte. Man erfährt einiges über das Amsterdam des 17. Jahrhunderts, den Aufbau der schmalen Häuser und die Anwohner der feinen Herrengracht. Die Stadt aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten – für den zweiten oder dritten Amsterdam-Trip auf jeden Fall eine Option. Wer die Stadt noch gar nicht kennt, wird es danach allerdings auch nicht. Leider gibt es die Cruise von der Canal Company nur während der Late Rembrandt-Ausstellung des Rijksmuseums, also nur noch bis 18. Mai. Schauspielerin Ingrid Marsman dürfte man aber auch in anderen Rollen in Amsterdam wiederfinden, u.a. als Königin Beatrix.
Zuhause beim Maler – Het Rembradthuis
Ins Rijksmuseum geh ich vielleicht später. Erst einmal marschiere ich quer durchs Zentrum zu seinem Wohnhaus in der Jodenbreestraat, wo man das Museum Rembrandthuis hergerichtet hat. Er hatte dieses Haus für 13.000 Gulden gekauft, wahnsinnig viel Geld in 1639. Im Keller gibt es Audioguides und den Bereich der Hausmädchen zu betrachten: die Küche. Man hat versucht, das Interieur nach Listen und Skizzen Rembrandts wieder in den Zustand zu bringen, den es vor dem Bankrott und Ausverkauf des Malers hatte. In der Küche erfährt man von den Streitigkeiten, die die Hausmädchen Geertje und Hendrickje hier öfters austrugen. Der Meister ließ beide Modell stehen, musste aber irgendwann einsehen, dass das auf Dauer nicht funktionierte.
Radieren wie der Meister
Über eine schmale hölzerne Wendeltreppe steige ich ins Erdgeschoss hinauf, wo Rembrandt im Empfangsbereich für wartende Gäste einige Gemälde (nicht von sich) aufgehängt hatte. Auch im Empfangszimmer dahinter wird Kunst geboten, außerdem ein paar Stühle und ein Alkoven – allerdings übernachteten hier nur selten Gäste. Einen Raum weiter kommen wir zur Werkstatt, in der Rembrandt seine Radierungen anfertigte und druckte. Ein Herr des Museums führt den Besuchern vor, wie geätzt und graviert wurde und was letztlich den großen Erfolg Rembrandts ausmachte: die Vervielfältigung seiner Arbeit durch Drucke! Von einer Radierung kann man zwischen 20 bis 1000 Abzüge drucken – und jeder ist ein Original. Die dort herumliegenden Kupferplatten sind übrigens auch Originale, Millionen wert!
Rembrandts Atelier
Eine Etage höher kommen wir ins Reich des Malers und Sammlers. Rembrandt kaufte selbst gern Kunst, aber auch alle möglichen Artefakte – nicht als Kunstobjekte, sondern als Studienobjekte. Römische Büsten, ausgestopfte Tiere, Schildkrötenpanzer, Felle, Speere, Muscheln… alles musste er nach seinem Bankrott verkaufen, und konnte nur mühevoll vom Museum zusammen recherchiert werden. Im Zimmer gegenüber steh ich also im kreativen Zentrum des Meisters, dem Atelier. Eine riesige Leinwand klemmt auf der Staffelei in der Mitte des Ateliers. An zwei Wänden stehen kleine Öfen, Stühle an der Fensterseite und hinter der Tür im Eck ein großer schwerer Stein und ein Schreibtisch. Farbpigmente und Mineralien sind darauf angerichtet, hier mussten die Schüler des Meisters Farben anrühren bzw. auf dem großen Stein Pigmente ins Öl einmassieren.
Ölfarbe wurde immer frisch gemischt und in 24 Stunden aufgebraucht. Mein Blick fällt auf ein paar kleinere runzlige Säckchen auf dem Tisch. Die Dame am Schreibtisch, die uns das hier alles erklärt, grinst. Was das wohl sei? Tja…die Besucherschar rätselt. Und: das sind die Farbtuben des 17. Jahrhunderts! Schweineblasen, in die man übrig gebliebene Farbe füllte. Rembrandt verwendete gern trockenere Farbklumpen, um seinen Bildern einen leichten 3D-Effekt zu verleihen. Beim nächsten Museumsbesuch mal drauf achten ;)
Werke der Schüler
Im Dachgeschoss schließlich sehen wir die Werkstatt der Schüler, von denen Rembrandt wohl einige hatte. Hier sitzen tatsächlich Leute hinterm Absperrseil und zeichnen. Über das Hinterzimmer geht es in eine Ausstellung mit Werken der Schüler Rembrandts. Das Hundertguldenblatt finde ich hier auch wieder. Hello, old friend :) Und dann tappe ich über die moderne Hintertreppe von Etage zu Etage nach unten und sehe auf der Uhr, dass ich für die Late Rembrandt-Ausstellung wirklich zu spät bin. Monika von TavelWordlOnline Traveller war rechtzeitig da. Aber Hendrickje hat uns einige Spätwerke auf der Cruise gezeigt und hier im Rembrandthuis zu sein, war viel interessanter. Die „Nachtwache“ rennt ja auch nicht weg, die ist immer im Rijksmuseum. Nächstes Mal habe ich hoffentlich mehr Zeit, um beim Rembrandt Walk ein bisschen mit den Augen des Meisters durch Amsterdam zu laufen und vielleicht selbst etwas zu skizzieren…
Blumige Inspiration aus den Niederlanden!
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Meine Recherche wurde unterstützt von der Canal Company, Het Rembrandthuis, OntdekLeiden und KLM. Vielen Dank dafür!