Wie ich durch die mongolische Schweiz ritt und in einer Jurte übernachtete
„Herrlich!“ ruft Frau T. aus HH. Zum wiederholten Male übrigens, und auch wenn wir über den Herrlich-Tick schon etwas lächeln, sie hat eigentlich jedes Mal Recht. Es ist so herrlich aus dem Autofenster zu sehen und ewig grüne Weiden vorbeiziehen zu sehen, die Jurten zu zählen und die Kamele zu zählen und die Stände mit Falknern zu zählen… Herrlich ist auch, wenn man nach 2 Stunden Autoschlaf nordöstlich von Ulaanbaatar auf dem welligen Grün aussteigen kann und unter ein paar sehr skurrilen Granitspitzen seine eigene kleine Jurte für die Nacht zugewiesen bekommt.
Im Jurten-Camp der mongolischen Schweiz
Wir haben den Nationalpark Gorchi Tereldj auf 1500 Metern Höhe erreicht, das sagt mir die Schnappatmung, die einsetzt als ich mal eben die kleine Alm zum Nomadenzelt hinauf laufe. Ein wahrhaft herrlicher Ausblick! Und das noch vor dem Mittagessen! Nach Bezug meines Zweibetten-Apartments Nr. 42 mit Ofenheizung und ein paar Lücken im unteren Filz, weiß ich gar nicht, ob ich zuerst die „Alm“ weiter nach oben steigen und nach Edelweiß suchen oder doch lieber zur Großjurte schlendern soll, neben der gerade das Lamm in der Milchkanne schmort. Ich entscheide zugunsten des Lamms, wer hätte das gedacht.
Lamm aus der Milchkanne
Der Kannenwächter kauert mit starrer Mine bei den beiden Milchkannen, die samt Fleischinhalt im offenen Feuer stehen. Mal gucken, was das gibt. Ich rieche jedenfalls noch nicht den Braten. Stattdessen sucht sich die Presse-Mannschaft ihren Tisch im Kantinen-Zelt. Es ist eine riesige Jurte, ganze 2 Busladungen Zarengold-Reisender gesellen sich fürs Essen zu uns. Dann wird unter Blitzlichtgewitter das Lamm aus der Kanne geholt. Der Kannenwächter öffnet die versiegelten Milchkannen und zieht mit einer Zange zunächst einige Steine aus dem Gefäß, es folgen die Fleischbrocken.
Wer kein Schaffleisch mag, sollte jetzt den Raum verlassen, denn das Lamm entpuppt sich doch eher als Hammel und bringt ordentlich Geruch in die Kulisse. Ich als Karnivor muss das kosten. Und obwohl die Fleischberge sehr fluffig und fettig aussehen, ist das Fleisch doch recht mager und ich finde es hat einen rauchigen Geschmack. Irgendwie hat das Tier in der Kanne Röstaromen angesetzt und kommt mir fast wie BBQ vor. Was soll ich sagen: mit ein bisschen Kartoffel-Apfel-Salat dazu und einer Cola light ein super Dinner, das man sich am Nachmittag unbedingt wieder abtrainieren muss.
Ausritt mit Nomanden
Und die Gelegenheit zum Abtrainieren bietet sich in der Tat. Sollte es zunächst noch eine Wanderung sein, schlägt Tourguide Gerelt spontan einen Ausritt stattdessen vor. Und obwohl ich ja bei meinem ersten Ausritt vor Jahren in Südafrika nicht die positivsten Erfahrungen mit den großen Vierbeinern gemacht habe, bin ich doch wieder aufgestiegen. Außerdem herrscht hier ein ganz herrlicher Gruppenzwang! Normalerweise führt eine Nomadenfamilie für die Zarengold-Reisende hier ein kleines Naadam-Fest auf. Das sind die „drei Spiele der Männer“, ein recht altes Kräftemessen, bei dem geritten, gerungen und bogengeschossen wird. Da aber morgen Nationalfeiertag ist und aus diesem Anlass das Naadam-Fest in große Stil stattfindet, entfällt die Show für heute und Reiter und Pferde stehen zur freien Verfügung.
Ich möchte erwähnen, dass diese Pferde nicht mit den Übungspferden in Südafrika zu vergleichen sind. Mongolische Pferde werden als rasend schnelle Reittiere trainiert. Also keine lahmen Gäule und das macht mir schon Bedenken, denn einmal falsch am Zügel gezogen, geht das Huftier über alle Berge mit dir. Aber die nette Familie, die ein paar Kilometer weiter vom Jurtencamp ihre eigene Jurte aufgeschlagen hat, hält die Pferde schön fest und führt uns quasi auf den Pferden sitzend durchs grüne Land unterm blauen Himmel Mongoliens.
Milchtee mit Trockenquark-Bonbons
Wir sitzen nicht auf den traditionellen Holzsatteln, aber dennoch wird das morgen im Hinterteil ordentlich ziehen. Ankhaa heißt der Mann, der mein namenloses Pferd neben einem anderen herzieht und immer mal wieder beruhigen muss. Dem Tier ist diese Gangart eindeutig zu langsam. Aber es wird besser, als wir kurz an der Jurte der Familie anhalten und absteigen. Wir kehren ein bei Ankhaas Familie, trinken Milchtee im farbenfroh ausgestatteten Filzzelt und versuchen die leckeren Knabbereien möglichst ungesehen aus dem Mund zu entfernen – getrockneter Stutenquark ist doch irgendwie eigen.
Nachdem wir mit unseren esel- und kamelphobischen Pferden auch die Begegnung mit deren größten Ängsten überstanden und einen Bach durchschritten hatten, endete die lustige Pferdetour am Schildkrötenfelsen, an dem bereits eine Souvenir-Jurte auf uns wartet. Wir sind ja die Shopping-Truppe und ja, jemand hat etwas gekauft! Ich war es nicht, obwohl ich das Angebot mit den Büsten fragwürdiger, historischer Politiker sehr interessant fand.
Den Rückweg legten wir dann wieder per Bus zurück, die Pferde durften endlich heimjagen. Und dann kam der Augenblick, in dem ich gewahr wurde, dass der Führer meines Pferdes dermaßen spitze Eckzähnchen hat, dass es mir beim Gedanken an eine einsame Nacht in einer simplen Filzhütte nicht mehr ganz so romantisch sein würde.
Unheimliche Nacht in Jurte Nr. 42
Zwei Mädchen, die im Buuveit Camp arbeiten, heizen uns die Hütten vor dem Schlafengehen ein, dazu wird das Ofenrohr auf den Ofen gesteckt und gekonnt mit Papier und Holzstückchen hantiert. Während dessen versuche ich krampfhaft russischen Smalltalk zu halten und die mongolische Lautfolge für Gute Nacht zu erfahren. Die Mädchen kringeln sich und rennen zum nächsten Filzhäuschen.
Es wird mollig warm im Zelt, dennoch wickle ich mich in Bettdecke und Kaschmirdecke bis zur Nase. Es gibt Löcher im Filz, Löcher nach draußen zur Natur. Jede Spinne der Welt käme da durch! Ich schlafe also eher wenig und verschwende ein paar Gedanken an meine eigentlich nicht sehr starke Arachnophobie. Na herrlich, draußen heulen Hunde und wiehern Pferde – wie weit sind denn diese Nomaden weg? Und schon ist Ankhaa in meinem Kopf und die spitzen Zähnchen… Ultrakurze Regenschauer scheinen aufs Zelt zu prasseln. Was ist das? Die Nacht ist so unheimlich, aber auch so warm, dass ich letztlich beschließe: die mongolischen Vampire können mich mal, sollen sie sich durchs Filz beißen und die Spinnen gleich mitbringen, ich muss schlafen! Das tat ich dann auch, ungefähr 4 Stunden lang. Die allein waren sehr bequem. Hätte am Ende gern viel länger geschlafen, aber wir müssen ja zurück nach Ulaanbaatar zum Naadam-Fest.
Lohnenswerter Programmpunkt
Ich muss sagen: ich hätte gern mehr gesehen von der mongolischen Schweiz, in der übrigens viele Hauptstädter mal zum Camping-Wochenende vorbeikommen. Abgesehen von meinen eingebildeten Ängsten, ist so eine Jurtenübernachtung wirklich komfortabler als jeder Campingurlaub. Der Regen der Nacht war übrigens ein Heuschreckenschwarm und nicht eins der Viecher war morgens in der Jurte zu finden. Falls ihr also mal die Möglichkeit habt: Es ist herrlich, also machen! Für die Zarengold-Reisenden gibt es den Ausflug und die Übernachtung in der mongolischen Schweiz als zusätzliches Angebot zum Standardprogramm, kostet ungefähr 90 Euro.
So, dann lacht mich mal ruhig aus. Ich wohne derweil dem Naadam-Fest bei!
Bis die Tage
Claudi
Vielen Dank an Lernidee für die Unterstützung dieser Recherchereise
Stichworte: ausflug, landschaft, natur, pferd, transsib, Transsibirische, zarengold