Die Nordlicht-Legenden der Samen
Ich schiele über die Elchsuppe hinweg aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus. Den ganzen Tag war ich mit Amund Peder unterwegs und habe die Sami in Karasjok getroffen. Ich bin müde, obwohl es erst 18 Uhr ist. Die frühe Dunkelheit signalisiert meinem Hirn Schlaf, was aber eigentlich auch Quark ist. Zuhause komme ich auch erst nach Dunkelwerden in die Gänge. Vermutlich ist es das Dämmerlicht, das mich ausknocken will. Aber: Keine Chance!
Geschichten vom Nordlicht
Dies ist mein zweiter und damit letzter Abend in Sápmi. Wenn ich heute nicht nochmal Polarlichter sehe, wäre das echt vergeudete Zeit. Deswegen bin ich ja hier. Und vor allem: Um die Legenden der Sami zu hören, die ja seit Jahrhunderten mit den Lichtern leben und sich bestimmt so ihre eigenen Theorien darüber gemacht haben.
Ich löchere meine beiden Ferienhaus-Gastgeber beim gemeinsamen Abendessen. Um die Guovssahasat, die Polarlichter, ranken sich tatsächlich einige Legenden und zwar sehr unterschiedliche, je nachdem mit welchem Sami man darüber rede, meint Amund. „Im Süden hört man oft, dass die Nordlichter Eiskristalle sind, die von den Schwingen der Schwäne auffliegen, wenn diese in den Norden fliegen.“ Es könnten aber auch Schneekristalle sein, die ein Fuchs aus seinem Pelz schüttelt, erzählt Amund.
Und dann ist da noch die Legende, „dass die Seelen von verstorbenen Jungfrauen zu Nordlichtern werden und vom Himmel winken“ ergänzt Kari. Bei den Grönländern sollen es Kinderseelen sein. Die Wikinger wollten das Reflektieren der Schilde der Walküren im Nordlicht sehen, ein Zeichen dafür, dass eine Schlacht geschlagen wurde und die gefallenen Helden nun nach Valhalla geführt wurden. Ich finde das echt spannend, was man alles über die Jahrhunderte und Jahrtausende in dieses Himmelsphänomen gedeutet hat.
… sonst holt dich das Nordlicht!
Aber am häufigsten seien „Nordlichter bei den Sami aber vor allem etwas, wovor man uns als Kinder gewarnt hat und die man auch zur Einschüchterung benutzt hat.“ Also hat man Kindern gesagt, dass sie das Nordlicht holt, wenn sie nicht hören. Oder auch, dass sie nicht mit dem Finger auf das Licht zeigen dürfen, weil er sonst abfault. Amund erläutert das genauer: „In Nordlichtnächten ist es besonders kalt. Kinder könnten erfrieren, wenn sie rausgehen. Es war ein Erziehungsinstrument.“ Wem man jedoch das Feuer verbietet, der zündelt umso lieber. Daher gibt es sehr wohl Joiks (Chantis, Gesänge), um die Lichter anzulocken, auch ein weißes Tuch solle das können. Aber was, wenn man es anlockt? „Dann holt dich das Nordlicht!“ lacht Kari los. Na, wollen wir doch mal sehen, denk ich.
Phänomenale Erscheinungen der ganz kalten Art
Als sich meine Gastgeber in ihr eigenes Haus zurückgezogen haben, knipse ich die Lichter in der Fjellstue aus. Ich steige in alle Klamotten, die ich dabei habe, denn das Thermometer ist auf -42°C gefallen. Im Flur hängt ein Thermoanzug, wie ihn alle Norweger scheinbar haben. Den nehme ich ebenfalls in Anspruch, dazu noch Karis Rentierfellstiefel. Ich kann vor lauter Textilschichten gerade so noch nach dem Stativ mit der aufgeschraubten Kamera greifen und tappe unbeholfen wie das Michelin-Männchen aus dem Häuschen.
Der Mond klettert gerade hinter der Scheune an seinen Platz, er wirft eine Lichtsäule nach unten und oben. In einiger Entfernung bewegen sich kleinere solcher Säulen durch die Nacht. Die haben wir vorhin schon gesehen und Amund hatte mir erklärt, dass dies eine Erscheinung ist, die nur bei so niedrigen Temperaturen auftritt. „Es ist so kalt, dass sich Eiskristalle in der Luft bilden und diese das Licht reflektieren.“ Selbst vorüber fahrende Autos werfen solche Lichtsäulen in die Nacht. Phänomenale Erscheinungen der ganz kalten Art.
Atmen bei -42°C
Ich stapfe derweil durch den knirschenden Schnee und versuche ein schönes Plätzchen zu finden, um die anderen Lichter aufzunehmen. Nordlichter, ohja, sind auch heute wieder da. Ich atme nur in meinen Schal, denn der Versuch, mal von der frischen Luft zu schnappen, endete mit einer halben Atemnot. Nicht nachmachen! Immer schön in Schal oder Tuch atmen ;) Und aufpassen, dass die Brille dabei nicht anläuft, der Spaß gefriert nämlich sofort. Abgesehen davon, friert und gefriert nichts. Ich staune etwas, denn ich stehe nur in einer millimeterdicken Schicht Fell und die hält die Füße wirklich warm.
Nordlichter, aber mit Location
Derweil ziehen die Polarlichtschleier gemächlich über den Himmel. Heute mach ich mir nicht mal Gedanken, dass sie verschwinden könnten. Ich sehe sie immer noch nicht grün, die Nordlichter. Es bleiben Nebelschwaden, aber auf dem Kameradisplay explodieren die Farben! Es geht auch gar nicht mehr um die Aufnahmeeinstellungen, die Umgebung muss was hermachen. Eine ganze Stunde ziehe ich um die Gehöfte, Lavus und Birken. Mein Ferienhäuschen selbst ist ein williges Motiv, auch die Bäume machen einen ansehnlichen Vordergrund zu den ringförmigen Aurora-Bändern. Den Vordergrund strahle ich mit einer Taschenlampe an, damit man ihn überhaupt sieht. Immer mal wieder kratze ich den Raureif von den Brillengläsern und hoffe, dass der Kameraakku noch etwas durchhält. Bis ich schließlich die vorgelaufene Spur im Schnee verlasse und neben den Weg trete, wo es tief runtergeht.
Schmeiß die Kamera nicht in den Schnee!
Ich falle ja nicht hart, aber die Kameraaaa! Die stürzt in den Pulverschnee! Panikattacke. Ich schnapp das Stativ, schüttle den Schnee ab und puste den Schnee weg. Ich renne ins Haus, im Windfang ist es kühl, da kann die Kamera langsam akklimatisieren. Noch mal schütteln. Noch mal pusten. Schmelzen dürfte der Schnee bei diesen Temperaturen ja nicht. Kondensat wäre wirklich nicht gut. Ruhig bleiben und in der Küche Gudbrandsdalsost essen. Nach einer Weile schalte ich die Kamera wieder ein. Sie lebt, Gott und allen Bäumen, Bergen und Hastenichtgesehen sei Dank! Ich bleibe trotzdem drinnen. Diese Anhoserei ist mir zu anstrengend. Die Nordlichter sehe ich vom Schlafzimmerfenster aus weiterziehen. Vermutlich werden sie um diese Uhrzeit noch intensiver, aber ich bin k.o. für heute.
Morgen muss ich dieses Winter-Lichter-Land wieder verlassen. Báhcci dearvan, ha det bra, Bye-Bye Sapmi und Norwegen! Nächstes Jahr schließe ich mich für ein paar Wochen irgendwo in Lappland in eine Hütte ein und gucke und male Polarlichter. Habe ich beschlossen. Achja, und ein Eishotelbesuch steht ja auch noch auf der Liste… Werde vorsichtshalber eine weiße Fahne mitbringen :D
Boure idja, träumt schön grün und lasst euch nicht vom Nordlicht erwischen ;)
Claudi
Ich reiste auf Einladung von Visit Norway, vielen Dank dafür! Vielen Dank vor allem an Kari und Amund Peder Teigmo für die spannenden Gespräche und soooo viel Neues, das ich in diesen zwei Tagen lernen durfte!
Stichworte: karasjok, lappland, legende, nordlicht, polarlicht, samen, sami