Ein Tag im rosa Dämmerlicht Lapplands
Es weht kalt vom Fenster herüber, ich sehe erst jetzt, dass nur eine der Fenstertüren eine Doppelscheibe hat. An der einzelnen Scheibe hat sich die Nachtkälte kreativ ausgetobt und Eisblümchen gemalt. Wie schön. Ich husche blitzschnell vom warmen Bettchen ins überheizte Bad und mach mich bereit für den Tag. Amund hat versprochen, mir heute zu zeigen, wie die Sami so leben, wovon sie eigentlich leben (außer dem, was sie zum Essen jagen und sammeln) und einen Abstecher zu den Rentieren wollen wir auch machen.
Auch in der Küche blüht kühle Flora an den Fensterscheiben. Dahinter ruht die verschneite Landschaft, eine rot gestrichene Scheune, das gelbe Wohnhaus meiner Gastgeber im morgenrötlichen Licht der Ganztagesdämmerung. Zum Frühstück haben mir die Heinzelmännchen selbstgemachte Moltebeeren-Marmelade gebracht. Die Vitamine singen ein hohes C und ich werde langsam wach.
Fang das Rentier!
Beim Blick aufs Außenthermometer stelle ich fest, dass meine Wetterapp versagt hat. -8 °C waren angekündigt. Wir sind bei -24 °C, ich fürchte um meine Fußwärme, das ist immer das Schlimmste. Als ich schließlich mit Heizsohlen in den Hightech-Snowboots, 2 Paar Socken, Wollunterhose, Skihose, mehreren Jackenschichten und einer Mützen-Kapuzen-Kapuzen-Kombination mit Fleece-Schlauchschal aus der Fjellstue trolle, hat sich Amund Pedder schon längst bereit in seinen Beaska, einen Rentierfellmantel, gehüllt und mit Lasso und Bogen bewaffnet. Der Unterricht beginnt direkt vor der Tür, ich komme auch schwer weiter, denn ich sinke erst einmal knietief in den Schnee. Soviel steht fest: Das Schneemannbauen kann ich vergessen, der Schnee ist viel zu pulverig.
Dann ist meine Konzentration gefordert. Amund zeigt mir, wie man mit einem Suohpan, dem Lasso, ein Rentier fängt – ohne Rentier. Amunds Familie hat keine Rentiere, sie gehört zu der Sorte Rentiersamen, die andere Rentierzüchter ausstattet. Ich probiere Lasso werfen auf Samisch, komme damit aber auch schon im Western Style ja nie hin. Der Rentierschlitten liegt ganz ruhig im Schnee begraben, aber er entwischt mir jedes Mal.
Traditionelles Handwerk – Duodji
Wir stapfen weiter übers Grundstück der Familie. „Früher hatten wir mal Schlittenhunde und haben Touren angeboten. Aber das wurde zu stressig.“ erzählt mir Amund als wir an der Scheune vorbeigehen. Unser Ziel ist die alte Schmiede, in der er Messerklingen herstellt, wie schon sein Vater vor ihm. In der Werkstatt nebenan baut Amund Rentierschlitten, die Biegung der Kufen ist das Herausfordernde daran. Mein Blick fällt auf hölzerne Kugeln. Die sammle er nur an Neumondnächten von den Birken, sagt Amund. „Es ist ein Baumkrebsgeschwür.“ Die Holzknollen werden ausgehöhlt und in Werkstatt Nummer 2 zu Schalen und traditionellen Guksis, Tassen gedrechselt. Wir sind mitten drin im Thema Broterwerb der Sami. Nicht nur Souvenirs, auch Gegenstände für den Alltag fertigen die Samen aus dem, was ihnen die Natur bietet. Neben dem Holz sind Rentierknochen, -hörner und -fell wichtige Zutaten des Duodji, der Handwerkskunst der Samen. Dinge des täglichen Gebrauchs gehören dazu: gravierte Messergriffe und Löffel aus Rentierhorn oder auch Schlingenringe fürs Lasso sind die Klassiker.
Im Laufe des Tages besuchen wir einige ortsansässige Kunsthandwerkerinnen, denn Amund möchte mir echte Samen im echten Leben vorstellen, und keine Show zeigen, wie sie im Sápmi Park von Karasjok für Touristen angeboten wird. Wir besuchen diverse Geschäfte, in denen Filzsohlen, Filzschuhe, Seidenumhänge, bunt gemusterte Saumbänder, Gürtel und Strickwaren gefertigt werden. Das Gákti, das typische Sami-Outfit hat viele Komponenten und ein jeder im Ort werkelt eine davon und eigentlich sprechen wir da schon mehr von Daida (Kunst) und nicht mehr von Duodji (Handwerk). Die Anpassung ans arktische Klima und die Natur bestimmt den gesamten Lebensrhythmus der Leute.
Wir fahren mal kurz nach Finnland
Und was gehört noch zu Lappland? Genau, die Rentiere! Wir tuckern mit dem Auto durch die dämmerige Landschaft. Der Himmel ist rosa gefärbt, das Weiß auf den Wäldern und Feldern sticht umso intensiver hervor. Und plötzlich fahren wir über eine kleine Brücke und Amund kommentiert „so, jetzt fahren wir mal nach Finnland!“ Ach? Nur 24 Kilometer ist die Grenze weg. Unser Ziel ist eine Quelle, eine heilige Quelle! Sie entspringt am heiligen Berg Ailigasvarri und friert auch bei mittlerweile -30 Grad nicht ein.
Es gehört dazu, vom dampfenden Wasser zu trinken ohne dabei hineinzufallen. Es dampft weil es um einiges „wärmer“ ist als die umgebende Luft. Weil es heilig ist, wird es sicher jung und hübsch und kälteresistent machen, nehme ich an. Viel schöner finde ich, durch diesen kleinen Wald mit den vom Schnee eingemummelten Bäumen zu laufen. Die Himmelfarben verlaufen von Rosa bis Hellblau. Hier könnte man ewig spazieren, selbst ich. Wenn nur nicht die Heizsohlen schon aufgegeben hätten! Wir beeilen uns.
Es geht über eine kleine Einfahrt in ein scheinbar ausgestorbenes Dörfchen. Aus keiner Hütte steigt Rauch auf, kein Mensch auf den Straßen. Was wollen wir denn hier? Dann seh ich ein besonders hübsches Hüttchen und einen Baum und frage nicht mehr, schöne Motive brauchen doch keine Rechtfertigung. Wir steigen aus. Amund klärt mich auf: „Hier bringen im Herbst die Rentierzüchter ihre Tiere her.“ Achsooo… also, wo sind die Rentiere?
Guck, da läuft ein Rentier!
Samen sind Meister der Anpassung, schließlich leben und überleben sie seit Jahrtausenden in dieser Welt aus verdammt viel Schnee und Kälte. Autos sind da nur bedingt angepasst. Wir parken also mit laufendem Motor, damit dieser nicht einfriert solange wir die Rentiere besuchen. Amund checkt die Anlagen hinter den Bretterzäunen. Dann winkt er. Mein Zeichen. Er bedeutet mir, ganz langsam und besonders leise zu laufen. Klar, schleichen kann ich! Ich solle mal zum Gehege allein vorlaufen. Amund bleibt am Eingang des schmalen Weges stehen und macht Klickgeräusche. Jaha, ich habe einen Rentierflüsterer bei mir! :D Rentiere machen selbst solche Klicks und das EINE Tier da im Gehege wird etwas ruhiger als es das vertraute Geräusch hört. Es ist angeleint und läuft auf und ab. Mein erstes Live-Rentier guckt etwas verdutzt, als ich am Zaun anklopfe. Ich versuche ihm in seine großen dunklen Augen zu sehen, in der Hoffnung, dass es dann stehen bleibt. Und auch, weil ich hoffe, irgendeinen Dr. Doolittle-Draht zu Tieren zu haben, was sich aber noch nie bewiesen hat. Nein, das Rentierchen verhält sich nicht wie gehofft. Huftiere sind Fluchttiere. Und das hier kann nur von einer Ecke in die andere flüchten.
„Das ist ja noch ein ganz junges.“ finde ich. „Nein, wieso? Das ist ein ausgewachsenes boazu“ erklärt Amund lachend. Ach? Größer werden die nicht? „Die sind so klein.“ Ha, und ich dachte, diese Huftiere sind so groß wie Hirsche. Ich betrachte das hellgraue Tier, wie es von einer Seite zur anderen läuft. Es ist nicht höher als ein Meter. „Es scheint krank gewesen zu sein, sonst wäre es jetzt gar nicht hier“, liest mein Guide meine fragenden Gedanken. Nur einmal im Jahr werden die Tiere zusammengetrieben – zur Bestandsaufnahme und zum Schlachten. „Momentan sind die Herden draußen auf den Ebenen. Der Schnee und die Kälte können ihnen nichts anhaben, das Fell ist absolut dicht.“ erzählt mir Amund, während er ebenfalls ganz fasziniert auf das Tier blickt. Er mag Tiere, nicht nur um sie zu jagen und zu essen, das seh ich ihm an. Wir lassen das Boazu wieder zur Ruhe kommen und ziehen von dannen.
Drückt die fehlende Sonne aufs Gemüt?
„Wie hält man das hier aus? Ganze Monate ohne Licht, wie wird man da nicht depressiv?“ frage ich als wir bereits wieder in Norwegen sind und durch Karasjok fahren. Amund hält auf einer kleinen Anhöhe mitten in der Stadt. Wir schauen auf die verschneite Landschaft, in der Häuser kaum erkennbar sind. Schneebedeckte Tannen bis zum Horizont, an dem gerade – um 16 Uhr – die Sonne untergeht, ohne dass sie überhaupt gesehen wurde. Bis Ende Januar wird es beim Dauerdämmern bleiben. „Du bist genau zur richtigen Zeit hier.“ sagt Amund.
Der Himmel verwandelt sich in eine Farbenmeer von Rosa über Violett bis Dunkelblau. Das macht nicht depressiv, nein. „Im Januar, kurz bevor die Sonne wieder über den Horizont kommt, sind die Himmelsfarben am schönsten“, sagt Amund. Und auch so würde man sich in der Dämmerzeit gut mit Handwerk und sowas beschäftigen. Für einen Urlauber oder Besucher ist das eh kein Thema. Es ist faszinierend! Und außerdem haben sie das Polarlicht ;)
Ich reiste auf Einladung von Visit Norway, vielen Dank dafür! Vielen Dank vor allem an Kari und Amund Peder Teigmo für die spannenden Gespräche und soooo viel Neues, das ich in diesen zwei Tagen lernen durfte!
Stichworte: dämmerung, Duodji, handwerk, karasjok, lappland, rentier, samen, sami, sapmi, Tiere