Farbwelten rund um den Lago Atitlán
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Farbwelten rund um den Lago Atitlán

Nach einer frühen Anfahrt bis Panajachel, hüpft unsere kleine Reisegruppe am Mittag zu Senor Andres ins Boot. In 30 Minuten schippert uns der alte Cowboy über den bekanntesten See Guatemalas, den Atitlán – bei mehr und mehr aufklärendem Wetter. Als wir in Santiago de Atitlán ankommen, gucken die drei Vulkane Tolimán, Atitlán und San Pedro zu, wie wir uns über die Boote im Hafen an Land hangeln. Dort steht schon Freddie Mercury aka Miguel in der traditionellen Tracht der Maya-Tzutujil bereit, um uns das kunterbunte Leben der Atitlán-Gemeinden zu zeigen.

Senor Andres steuert über den Lago Atitlan

Senor Andres steuert über den Lago Atitlan

Santiago de Atitlán

Ich danke dem Wettergott für Sonne ohne Schwüle, die frühlingsfrische Seeluft und staune mich durch die Souvenirstände zur Rechten und Linken. Kunsthandwerk und Nippes – wir sind in einem jener Vorzeigestädtchen angekommen, die sich vor allem von Touristen finanzieren. Bei Holzkünstler Diego schau ich eine Weile zu, wie er aus Zedernholz hochfrisierte und verschnörkelte Mayagötter erschafft. Doch während ich noch zugucke, wie Gott Hunapú glatt geschliffen wird, entschwinden Miguel und die Gruppe bereits in den nächsten Eingang.

Guide Miguel führt durch die Atitlán-Gemeinden

Guide Miguel führt durch die Atitlán-Gemeinden

Alte Hüte und jung geblieben Models

Dort führt ihnen die 67jährige Maria vor, was ein Tocoyal ist und wie man diesen Hut zu einem solchen bindet. Das 20 Meter lange Filzband wird um den Kopf gewickelt bis einem entweder die Arme abfallen oder der Nacken nachgibt ODER das Band endet. Miguel kommentiert daher auch, dass diese Art der Hutmode nur noch unter den älteren Damen en vogue sei, die jungen würden die Last gar nicht ertragen. Maria lächelt dabei quietschvergnügt, als wäre das nichts. Ich vermute, sie macht das stündlich einmal und ist daher gut im Training.

Maria präsentiert stolz ihren Hut

Maria präsentiert stolz ihren Hut

Außerdem ist Maria wahnsinnig stolz auf diese Tradition der Stadt, denn sie verhalf ihr und der ganzen Gemeinde zu der Ehre eines Porträts auf der 25 Centavos-Münze. Die kleine Dame ist eine Institution, was sicher auch beim Verkauf traditionell bestickter Decken, Röcke und Blusen hilft. Ein paar einheimische Touristen mussten dann auch unbedingt für ein Foto in traditionelle Wäsche steigen.

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Der Maximón vom Atitlán

Als wir uns weiter bergauf im Ort bewegen, vernehmen wir Musik. Eine Fiesta wird gefeiert! Der Musik folgend traben wir durch die engen Straßen. Beinahe rennen wir daran vorbei, so unscheinbar ist der Hof, in dem sich die Menschen um den Eingang des zugehörigen Hauses drängen. Die Band sitzt unter einem kleinen Vordach und spielt mir unbekannte, aber sehr aufgeweckte Klänge. So richtig passt sie nicht zu dem, was in dem Haus passiert. Darin sitzt eine Familie am Tisch, starr und stumm wie auf einer Totenfeier, an der Decke hängen Ballons und Schleifen, der Tisch reichlich gedeckt mit Flaschen. Vor all dem sitzt eine kindergroße Holzfigur in festlichem Ornat.

Der Maximon von Santiago de Atitlan

Der Maximon von Santiago de Atitlan

Es ist der Maximón, ein Kuriosum der Gemeinden am Lago Atitlán, eine Mixtur aus altem Mayaglauben und katholischer Heiligenverehrung. Die Heiligenfigur wird mit Zigarrenrauch angeblasen, Geld wird ihr zugesteckt. Die Flaschen auf dem Tisch sind hochprozentig abgefüllt und ebenfalls dem Maximón gewidmet – eine Art Geschenk, für welches er die Geber beschützen und deren Wünsche erfüllen soll. Auch die beherbergende Familie nimmt den Alkohol zu sich – sie sind vermutlich sturzbetrunken und daher so starr. Es geht zu wie im Taubenschlag, Gläubige strömen in den verräucherten Raum und beten beim Maximón, andere drängen nach außen, denn da ist Luft! Draußen wird ausgelassen gefeiert und zu den lateinamerikanischen Rhythmen getanzt. Der Heilige wechselt jährlich die Familie und sein Quartier, man muss sich nach ihm durchfragen! Wir hatten unglaubliches Glück, ausgerechnet heute vorbeizukommen.

Trachten der Maya-Tzutujil am Lago Atitlán

Wir bleiben nicht zum Feiern, wir müssen weiter. Miguel erklärt uns beim Mittagessen, dass seine kurzen Hosen mit genau den Vögeln bestickt sind, die seine Frau auf ihrer Trachtenbluse trägt. Grundsätzlich würde man verheiratete Leute an den Stickereien erkennen, Ledige hätten schlicht nix auf der Hose oder Bluse. Ich weiß gar nicht, wer das Thema auf den Tisch gebracht hat, aber schaden kann dieses Wissen sicher nicht. Abgesehen davon sind diese bunten Vögelchen wirklich ein Hingucker. Ich mag’s ja bunt.

Bestickte Tracht vom Lago Atitlan

Traditionell bestickte Tracht vom Lago Atitlan

Künstlergemeinde San Juan La Laguna am Atitlán

Und weil ich bunt so sehr mag, hat man uns alle noch ein Örtchen weiter nach San Juan La Laguna chauffiert. Per Boot, versteht sich. Und ich hab mich sofort verliebt. Gesichter, Früchte, Obst und Marktszenen in strahlenden, fast schon aggressiv bunten Farben umnebeln mich augenblicklich, als wir in die Galerie der Cochés eintreten. Hier sollte man eine Bank hinstellen, um sich sammeln zu können, nachdem einen die Farben umgehauen haben!

Naive Kunst, Maya-Malerei vom Lago Atitlan

Naive Kunst, Maya-Malerei vom Lago Atitlan

Antonio und seine Frau malen in einer Kollektive von 15 Künstlern, die allesamt aus diesem kleinen Ort kommen. Ihr Stil ist der in ganz Mittelamerika vorherrschende naive, naturalistische Stil. Zinnoberrote und titaniumweiße Tupfen haften dick auf dem übrigen Farbenreigen des Bildes, das gleich am Eingang meine Aufmerksamkeit erregt. Am liebsten würde ich jede einzelne Kaffeekirsche und jedes Maiskorn abtasten, so plastisch ist die Ölfarbe. „Wir malen hier seit den 80er Jahren mit Ölfarbe“, erklärt uns Antonio als wäre es eine große Errungenschaft.

Die Spezialität seiner Frau sind Markt- und Alltagsszenen der Mayas aus der Vogelperspektive. Sein Neffe liebt Obst und Gemüse. Simple Motive, einfache Farbgebung, aber die Farben fast schon psychedelisch. Antonio malt ebenfalls gern sein eigenes Volk in Farbtönen, die europäische Maler selten verwenden: Pink, Orange, Türkis und Lila. Seine Bilder in den beliebten Farben der Maya werden auf Ausstellungen auch außerhalb Zentralamerikas gezeigt.

Atitlan-Künstler Antonio Coche

Atitlan-Künstler Antonio Coche

Nur ein paar Zentimeter große Porträt-Bilder liegen im Nebenraum auf einem Tisch am Ausgang. Da schiebt man mich schon wieder aus der Tür, wir müssen weiter, denn die Cochés sind nicht die einzigen Kreativen. Im gesamten Dorf erkennt man die Künstlerhäuser schon von außen – an den Wandgemälden ihrer Fassaden. Der Seeblick und die Vulkane machen ganz offensichtlich kreativ. Ich wäre so gern geblieben, um selbst ein bisschen zu malen…

Kunst der Xocomel-Gruppe

Kunst der Xocomel-Gruppe

Ich wünschte, ich könnte länger hier bleiben und könnte noch mehr solche Gemeinden entdecken, in denen die Maya in Kooperativen zusammenarbeiten. Die meisten davon sind zwar auf touristische Produkte spezialisiert, aber die Menschen, die da werkeln, sind echt. Vor allem in den Seitengassen konnte ich ein bisschen was vom echten Leben erspähen. Da saßen die Marktfrauen am Bordstein und verkauften Blumen und Gemüse, neben ihnen dösten die Hunde. In einem chaotischen Markthaus hätte ich stundenlang das Treiben beobachten wollen. Selbst die eher nackte Kirche von Santiago Atitlán und vor allem der Platz davor wäre ein schöner Platz zum Verweilen. Es fehlt wie immer: Zeit.

Rodeo auf dem Lago Atitlán

Als wir kurz vor Sonnenuntergang wieder nach Panajachel zurückschippern, zeigt uns Senor Andres, was der Xocomil ist. Was ausgesprochen wie Schokomilch klingt, ist ein starker Wellengang im dunkelblauen Wasser. Kühlere Nordwinde aus dem Hochland und die Südwinde des Pazifiks kommen gleichzeitig von den Vulkanen herab und wühlen so den Atitlán auf. Schöner klingt die Legende um den Seewind, der ein unglücklicher Prinz sein soll – auf der Suche nach seiner Geliebten.

Nur auf dem Lago Atitlan: der Xocomil

Nur auf dem Lago Atitlan: der Xocomil

Senior Andres gibt dem Boot die Sporen und wirkt absolut cool, während das Boot wild durch die Wellen hüpft, die Gischt die Passagiere in der Bootsspitze duscht und uns ordentlich die Knochen zurechtrüttelt. Wir reiten den Xocomil, yeah, Rodeo auf dem Atitlán! Zurück in Panajachel schließt der Himmel auch schon die Gardinen und es folgt die Abendvorstellung im Naturkino: Gewitter zwischen Vulkanen in Schwarz, Weiß, Blau und Lila.

Bunte Träume euch und bis bald!
Claudi

Diese Recherchereise wird unterstützt von Visit Centroamérica. Vielen Dank dafür!

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