Warum mich 13 Meilen auf der Insel Harris stundenlang aufgehalten haben
Es sind ja nur 13 Meilen vom Hauptort Tarbert bis zur Finsbay, wo uns Alan im Old School House erwartet. Daher benötige ich auch NUR 45 Minuten und meine volle Konzentration für diesen kleinen Single Track, der übrigens geradewegs an der (mehr der weniger berühmten) Golden Route der Insel Harris vorbeiführt. Es liegt nicht nur an der schlängelnden Straße, schlecht einsehbare Kurven, 30 kmh-Vorgaben und wegelagernden Schafen – nein, nein.
Mondlandschaft statt Flachland
Meine erste Einschätzung des südöstlichen Zipfels der Hebrideninsel (Lewis und) Harris fällt extraterrestrisch aus: Mondlandschaft. Es könnte auch das Werk eines Riesen sein, der zahlreiche kleine Felsen hier ins schottische Heidemoor geworfen hat. Über einen nebligen, hohen Bergpass kamen wir in diesen unwirtlichen Inselwinkel. Die Landschaft ist einfach unglaublich schön, man möchte im Schritttempo fahren und eigentlich auch stehen bleiben und fotografieren oder aussteigen und auf dem Mond herumlaufen. Aber genau dann kommt ein anderes Auto und will entweder vorbei oder drängelt von hinten.
Wir fühlen uns dennoch allein und abgeschottet in diesem Teil der Insel. Wenige Cottages stehen hier scheinbar wahllos in die Landschaft gesetzt. Fischerboote schaukeln einsam auf den klaren Lochs, die zum Großteil Anschluss an den Ozean haben. In den Moortümpeln und Buchten spiegeln sich die rot angestrahlten Wolken der untergehenden Sonne. Das Heidekraut in seiner spätsommerlichen Blüte schimmerte ebenfalls rötlich – das ist ein anderer Planet. Zumindest ist der südliche Teil von Lewis und Harris landschaftlich komplett anders als der flache Norden. Es ist so schön, dass ich den Weg gleich zweimal fahre und somit Harris komplett umrunde. Dauert maximal vier Stunden.
„Ihr wart drei Tage in Lewis und habt nur einen in Harris? Das muss doch aber umgedreht sein!“ scherzt der liebenswerte Alan lokalpatriotisch als wir im Old School House eintreffen. Tja, wie man es plant… vermutlich hat er Recht, die Strände im Westen sahen von der Straße her vielversprechend aus. Breite Sandstrände mit beigen Dünen und einem romantischen Blick nach Westen. Ein Tag auf Harris. Er bestand zur Hälfte aus Blackhouse-Erkundungen in Lewis und Autofahren und Parken und Gucken und Schafe anhimmeln und einem sehr spärlichen Haggis in Tarbert und noch mehr Autofahren und noch mehr Schafe aus dem Weg hupen.
Zimmer mit Doppel-Aussicht
In Alans Schulhaus ist es mollig warm. Wir beziehen unser bisher schönstes Quartier im Oberstübchen. Das Zimmerchen verfügt sowohl über einen Berg- als auch einen Fjordblick. Im stillen dunklen Wasser des Finsbay Lochs versinken die Spiegelbilder der weißen Steinhäuschen des Gegenufers, während am Berghang bereits die ersten Schafe sich zur Nachtruhe gelegt haben. Ich hänge mich aus dem schrägen Dachfenster, um mehr zu sehen. Den Weg hinunter hält ein Pick-up – mit viel Geklapper und Geblöke springen da die Huftiere des Nachbarn aus dem Blechkasten. Sie wurden wohl zur Schur eingefangen, denn für gewöhnlich sind Hebridenschafe freilebend und auf den zaunlosen Wiesen und Heiden unterwegs. Bei Alan kann man zwar auch Abendessen ordern, aber das haben wir irgendwie vergessen, Schaf oder Lamm hätte vermutlich auf der Karte gestanden. Neben dem Fisch, klar.
Der Jupiter auf Harris
Beim Frühstück rückt der alte Haudegen dann mit den hörenswerten Geschichten raus. Ob wir 2001 Odyssee im Weltraum kennen, fragt er. Er scheint von einer Bejahung auszugehen (klar, kann er) und erklärt uns nicht ganz ohne Stolz „Die Szenen auf dem Jupiter hat man ganz in der Nähe gedreht. Wenn die Felsformationen bei Sonnenuntergang angestrahlt werden, kann man sich gut vorstellen, man wäre auf einem anderen Planeten.“ Der Jupiter also, nicht der Mond! Ich höre schon die Pauke aus „Also sprach Zarathustra“ ans Innenohr klopfen.
Am liebsten würde uns der alte Mann an die Hand nehmen und zu den Felsen führen, aber die Fähre wartet. Ein Jammer, wir können nicht länger mit Alan plaudern, dabei wollte er grad Fahrt aufnehmen. Ich werde es wieder sagen müssen. Ich sag das auf und nach jedem verdammten Trip: ich muss da nochmal hin! Wer weiß, vielleicht entwickle ich in der Jupiteratmosphäre ja neue Kräfte und wage dann eine Erkundung zu Fuß?
Demnächst mehr von Skye!
Meine Recherche wurde unterstützt von Caledonian MacBrayne und Sunnycars. Vielen Dank dafür.
Schaut doch mal in Claudis kleinem Kartenladen vorbei, dort gibt es Lewis & Harris als illustrierte Landkarte im Kunstdruck.