Wie ich in Helsinikis auf Kneipentour ging und nichts Verrücktes an den Finnen fand
Was möchte man von einem Land erwarten, in dem die Lautfolge h-y-v-ä (klingt wie man es sprechen möchte!) soviel wie „gut“ bedeutet? Helsinki is Hell. Hat man mir mal gesagt. Und dann war da mal dieser Irrwitz, dass man einen finnischen Sonnenuntergang als „Hell“sinki bezeichnet… und überhaupt, überall in Helsinki soll es verrückte Menschen geben, durchgedrehte Nordländer, die immer nur Musik oder Kunst machen… Soviel zur Theorie.
Dann mal zur Praxis: Faktisch geht auch in der Hölle die Sonne unter – wäre die Hölle dort angesiedelt, würde das also stimmen. Müsste man also Behauptung 1 klären: Helsinki is hell. Wenn man generell ein gestörtes Verhältnis zu Land und Leuten hat, keine rollenden R’s mag, massenhafte böse Dinge angetan bekommt oder an andere dumme Umstände erinnert fühlt… ja, dann kann es die Hölle sein. Aber das hielt sich in Grenzen. Kämen wir also zu Behauptung Nr. 3: die spinnerten Finnen. Ja, wo sind sie denn?!
Vermutlich alle in Wacken (Deutschland), da tobte an diesem Wochenende zumindest ein großes Musikfestival, das zieht Menschen mit der Nationalmusik Heavy Metal doch an! Da hätte ich auch sein können… aber ich dachte mir, ein kleinere finnisches Festival, wäre auch mal was! Also, rein in den Flieger und ab an die „Stromschnellen des Helsinge-Flusses„, der heute irgendwie anders heißt und mal die eine große finnische Band (HIM) in ihrer Heimat erleben. So eine Presseeintrittskarte bewährt sich immer wieder als ein wahres Kleinod der Wärme in dieser Welt aus Regen, Wind und finnischen Festivals. Das Medienzentrum wie immer der einzig warme und trockene Ort, tolle Kekse und Strom, um den Akku der Kamera aufzuladen. Letzteres war eigentlich nicht nötig. Denn meine Kamera war da schon komplett außer Gefecht, hat den Kneipenabend zuvor nicht verkraftet. Eine Kollegin aus Hongkong lieh mir daher ihre Ersatzkamera – Digitalschrott von Sony und für Feintunig oder Bühnenfotografie absolut nicht geeignet. Habe ich also nur zum Spaß mal aufgeladen, um zu gucken, was das Ding alles kann und vor allem was es nicht kann.
Das Ankkarock Festival fast ca. 15000 Leute, die zwischen 3 Bühnen pendeln, und zwar immer alle zusammen. Das mehrere-Bühnen-System kennt man ja, aber meist so, dass es die Massen verteilt, nicht kollektiv wandern lässt. Aber die Finnen sind ein Volk der langen Wanderungen, sollen vor Jahrtausenden aus den mongolischen Weiten nach Europa marschiert sein, das ist der Gang von Bühne 1 zur 3 in geordneter Schar doch ein Klacks. Außerdem verpasst man so nichts, da ja niemand parallel spielt und alle haben zusammen Spaß. Verpasst haben wir (der kleine internationale Pressetrupp) allerdings schon mal die internationale Band WASP. Man steht heutzutage schon an den Pressekartenschaltern an! Aber WASP hat mich die letzten 30 Jahre nicht gekratzt… kann man auch dieses Mal verzichten. Dafür gab die Altherrenmannschaft von Hanoi Rocks später noch eine Kostprobe von 20jährigen Gassenhauern, die man immer noch hören kann und zum Abschluss des ersten (und für uns einzigen) Tages gab es dann etwas junges, gutaussehendes: HIM aus Finnland in Finnland!
Das spannende an diesem Auftritt ist das Verhalten des Sängers. Ville Valo ist eigentlich eine wandelnde Valiumtablette. Steht meist neben sich, mit einem Gläschen Wein in der einen und einer Kippe in der anderen Hand, labert völlig apathisch ins Mikro und hält selten die Töne. So kenn ich das zumindest von Deutschland-Konzerten. Und siehe da, „Zuhause“ kann er auch anders! Er hat gelächelt, jawollja, war fast schon interessiert an seinem Publikum, hat mit ihnen geredet (auf Finnisch, kein Wort verstanden) und trank Cola (seit 3 Wochen aus der Betty Ford-Klinik raus). Leider hat er trotzdem kaum einen Ton gehalten und viel improvisiert, manche mögen sowas ja. Die Stimmung vor der Bühne war eher verhalten, die Musik verrückten Finninänänänänänän waren eher lahm, hauptsächlich aber voll. Zumindest das bestätigt ein Klischee: sie saufen immer und viel!
Das hat man uns am Abend in der Innenstadt dann auch bewiesen. Das ach so legendäre Nachtleben in Hel(l)! Wie schon am Abend zuvor hatte man uns zwei einheimische Trinkfeste als Führer zur Seite gestellt, die uns die echte Partystimmung in der Stadt vermitteln sollten. Anders und Matti (ab wie vielen solcher Namensbegegnungen sollte man darüber wohl mal nachdenken?) sind Barbesitzer, Restaurantbesitzer und Herausgeber eines Drinking-Guides und beide 27. Keine schlechte Karriere! Sie haben uns zwei Abende lang durch Rockkneipen geschleppt, in jeder gab es was zu trinken – ein Bierchen hier, einen Wodka-irgendwas da, russische Memorablia dort und die Billard-Halle der Kaurismäki-Brüder auch noch am Platze, alles irgendwie im 70er-Retrostyle. Dann noch einen Abstecher in den ältesten Rockclub der Stadt und Auftritt für eine schreckliche Punkband aus den USA. Viel zu laut, viel zu punk – und ich daher viel zu sehr am falschen Platz. Die Bar von Anders & Matti ist das Vinyl, in dem man die gehörte Musik auch gleich kaufen kann. Außerdem gibt es leckre Cocktails nach Songtiteln benannten – fast schon originell. Das Bild in den Straßen der relativ überschaubaren Stadt bei Nacht: ich könnte jetzt sagen wie Reykjavik (was ich aber ungern tue). Ungefähr, ja. Schlangen vor den Clubs, die Mode-Opfer nicht ganz so arg, Besoffene dann und wann, überquellende, weil meist recht kleine Bars. Aber musizierende oder total verrückte Menschen? Nö. Die stehen nur tagsüber in der Fußgängerzone und kommen auch nicht aus Hel oder Finnland – das sind Russen, wie in den Berliner U-Bahnen.
Also suchen wir am Tage nach etwas Verrücktem. Designershops sollen sowas sein. Naja, wie verrückt finden wir denn Rautenmuster und das Konterfei von Bambi auf einem Kleid? Genau, das steckt der Wahnsinn vermutlich im Detail! Wir sind dann noch zur vermutlich höchsten Toilette Finnlands aufgefahren, die ist im 13. Stock des Hotels Torni und zu zwei Seiten verglast, so dass man einen guten Ausblick über die Stadt genießt, während man… ihr wisst schon. Leider war das Wetter so deprimierend scheußlich, dass die Bootsfahrt durch die Inselwelt Helsinkis etwas langatmig wurde – hab die Hälfte verpennt. Immerhin, in der Kathedrale auf dem Senatsplatz war mal was los, viele Ausflugsbusse aus Deutschland hauptsächlich. Schöne Kirche und beim Einsetzen der Orgel rannten meine italienisch/spanischen Begleiter aufgescheucht nach draußen. Mehr gab es dann auch nicht zu sehen als ein paar hübsche Bauten in der Hafengegend. Ansonsten ist der Einfluss der sozialistischen Kastenbauweise und des skandinavischen Minimalismus zu extrem für meinen Geschmack.
Fazit: Es ist fast schon höllisch langweilig, da oben bei den völlig normalen Finnen!
In diesem Sinne: Kippis & Kiitos!
Ich reiste auf Einladung von Visit Finland
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