Auf einen Kaffee im Willow Tea Room von Glasgow
Wir steigen im Blythswood Square Hotel ab, am gleichnamigen Platz und der gleichnamigen Straße. Nach so vielen B&Bs mit laut klappenden Türen und spätestens-9-Uhr-Frühstücken wollte ich wenigstens am letzten Tag dieses Schottland-Trips etwas Ruhe. Das Hotel kenne ich noch von einem früheren Glasgow-Aufenthalt. Damals hatte ich allerdings nur den Afternoon Tea im feinen Salon eingenommen.
Relaxen in Lila-Grau-Weiß
Zwischen all dem graukarierten und lila gefärbten Tweed im Blythswood Square konnte ich jedenfalls ungestört ausschlafen, ein weiteres Bildchen malen, ein umfangreiches Frühstücksbuffet und einen ordentlich gemixten Cocktail zu den erholsamen Errungenschaften zählen. Den Mietwagen haben wir bereits abgegeben. Das 5-Sterne-Hotel ist längst nicht so versnobbt, wie ich vermutet hatte. Da saßen tatsächlich Leute in kurzen Sportklamotten beim Frühstück unter den riesigen Lampenschirmen (mit Schwarzweiß-Filmszenen von Innen bedruckt).
Glasgow im Schnelldurchgang
Wir verbringen nicht den ganzen Tag im Hotel, man will ja was von der Stadt sehen, die wie ich (eigentlich schon zum vierten Mal) feststelle, nicht unbedingt das Mega-Städtereisen-Erlebnis birgt. Wer auf Kunst, Museen (und Kunstmuseen) und Architektur steht, dürfte hier einiges abzulaufen haben. Die School of Arts in der Renfrew Street gehört dazu (Im Mai stark beschädigt worden durch einen Brand). Die Universität hat mich schon mit ihrem Eisentor und den Namen ihrer berühmten Alumni darin begeistert, das Viertel um die Uni ist außerdem auf junges, hippes Publikum ausgelegt. Das Kelvingrove Art Gallery & Museum und ein kleiner Park sind nicht weit weg. Damit dürfte der Nachmittag zu töten sein ;)
Aber wir sind schon mit Stadtbummelei zufrieden, bleiben im Zentrum der Merchand City und lassen uns durch Souvenirgeschäfte, Comicläden und Malls treiben. Ich kann mich nicht erinnern, diese Stadt je länger als 10 Minuten in Sonnenschein gesehen zu haben. So auch dieses Mal nicht. Was macht man bei unangenehmen Wetter in fremden Städten? Genau: Ins Café gehen! Und welches nimmt man? Das, was der Reiseführer empfiehlt > The Willow Tea Rooms.
Drei Willow Tea Rooms
Ich wollte da schon vor Jahren hin. Hatte es nicht geschafft. Es gibt drei davon in Glasgows Innenstadt, die im Zickzack von der Argyle über die Buchanan und durch die Sauchiehall Street verläuft. Wir wählen den Team Room auf der Argyle Street fürs zweite Frühstück. Ein Stückchen Kuchen geht doch immer, oder? ;)
Warum stehen die Willow Tea Rooms in Reiseführern? Ganz einfach: Sie wurden vom bekanntesten Glaswegian Charles Rennie Mackintosh (hat nix mit den frühen Apple-PCs zu tun) designt und eingerichtet und das vor über 100 Jahren. Für einen der Tea Rooms entwarf „Mack“ sogar die Außenfassade – auf der Sauchiehall Street. Sauchiehall hat gälische Namenbestandteile und bedeutet ungefähr „Weidengrund“.
Die alten Kelten waren der Natur auf spirituelle Weise verbunden. Na gut, vielleicht nicht alle. Sagen wir, unter den Kelten gab es den Trend, Bäume, Flüsse und Mutter Erde im Generellen zu verehren. Besondere Kräfte und Energien sagten sie beispielsweise der Weide (engl. Willow) nach. Mackintosh wollte der Stadt ein bisschen ihrer ursprünglichen Natur und Aura wiedergeben. Dieser Tea Room auf der Sauchiehall Street war DIE Weide, the Willow. Seine heutige Besitzerin nannte später alle ihre Teestübchen kettenmäßig nach der Willow.
Pekannuss-Käsekuchen im Argyle St Willow Tea Room
Die drei Teehäuser sind immer gut bis hoch frequentiert, man steht teilweise für einen Platz an. In der Argyle Street haben wir Glück, ergattern im ersten Stock einen Tisch für uns. Das Stockwerk ist eine Art Rundumbalkon mit Balustrade. Man sitzt an kleinen Tischen auf den berühmten Stühlen. Man muss mal auf ihnen gesessen haben, den Stühlen des Herrn Mack. Die hat er besonders schmal gemacht, dafür die Rückenlehne sehr steil und hoch. Ein bisschen wie ein Stock im Rücken – passend zur Vorstellung der Tee trinkenden High Society. Für bequeme Menschen wie mich gibt es auch bequeme Sessel.
Scones und Gebäck können eigentlich jederzeit als Afternoon Tea auf einer Etagere geordert werden, oder eben nur ein einzelnes Stückchen Pekannuss-Käsekuchen auf dem Teller – serviert von einer Studentin in Hausmädchenkluft mit weißer Bluse und Dutt.
Natürlich gibt es Tee im Tea Room! Im Erdgeschoss stehen die Sorten in großen Glasgläsern – schippchen-/tütchenweise zu kaufen. Wir sind dennoch so kulturlos und trinken Kaffee. Künstler gehen ja eh nie mit dem Trend. Ich bin sicher Herr Mack hätte das verstanden ;) Die Preise sind ordentlich hoch, wie es sich für ein Café aus dem Reiseführer gehört. Der Afternoon Tea kostet stolze 16 Pfund. Es geht allerdings teurer: Im Blythswood Square kosten die süßen Teilchen und Mini-Sandwiches mit einer Kaffee- oder Teekanne dazu sogar 22 Pfund.
Generell finde ich geradliniges Design und Minimalismus nicht so wahnsinnig ansprechend. So richtig warm werde ich mit Mackintosh nicht. Graue Wände sind auch nicht meine Sache. Trotzdem haben wir uns für die nächsten Glasgow-Besuche die anderen beiden Tea Rooms vorgenommen, denn eigentlich waren wir noch gar nicht in DEM Willow Tea Room. Nur gucken, gemütlich Kaffee trinken kann man sicher woanders besser.
Kurze Geschichte des Willow Tea Rooms
Die Teestuben-Gründerin Miss Cranston wollte ihre damals (um 1900) sogar vier Teestuben als Gegenbewegung zu den Pubs und den damit einhergehenden Alkoholismus mit Kunst und für weibliches Publikum etablieren. Interessanterweise war Mackintosh, ihr Star-Architekt und Designer selbst ein Alkoholiker. Den Kunst-Exkurs über Mackintosh, die Glasgow School und die School of Arts lest ihr bei Interesse einfach bei Wiki nach ;)
Ausgehtipp für den Abend: Lucky 7
Abends hätte man sich im 5-Sterne-Hotel natürlich ein hochpreisiges, kleinformatiges Menü bestellen können. Aber der Trip war bisher schon recht kostspielig. Auf dem Weg zum Hotel war uns ein Restaurant aufgefallen, das von außen eher wie ein Club wirkte. „Lucky 7“ blinkte als rotes Neonschild im Fenster.
7 ist meine Glückszahl, also rein da. Und dann: ein langer schmaler Raum, abgerissene Tapeten, in der Mitte verläuft auf voller Raumlänge ein riesiger Holztisch. Einzelne Blumen in Gläsern und Fläschchen, rechts und links an den Wänden Sitzbuden wie in einem American Diner. Alles recht dunkel, Kerzen auf den Tischen, die Gäste scheinen eher Einheimische zu sein.
Es wirkt abgeranzt und durchgestylt zugleich und ist urgemütlich. Einziges Manko: die Musik ist nicht nach meinem Geschmack. Wir ordern Burger und Pilz-Gnocchi. Der Laden ist ein absolutes Understatement für das, was er bietet! Leider ist die Cocktailkarte sehr beschränkt und nicht auf meine Wodka-Vorliebe ausgelegt, weshalb wir später dann doch noch einen Absacker in der Blythswood Bar nehmen. Ist schließlich der letzte Abend.
Als Hoteltester unterwegs
Das Blythswood ist nicht das billigste Hotel der Stadt, mir kam der trivago-Hoteltest zugute, für den man ein Honorar für die Übernachtung erhält. Dafür musste ich einfach ganz normal buchen und bezahlen wie immer, wohnen, schlafen, unauffällig umgucken und danach einen 24-seitigen Kriterienkatalog online ausfüllen, in dem alles mögliche über das Hotel, das Personal, das Ambiente, das Essen, die Services, etc. abgefragt wird.
Mit diesem Katalog im Hinterkopf guckt man schon genauer in die Ecken und schielt auch mal ins Schwimmbad im Kellergeschoss, alles inkognito, versteht sich! Wir kamen uns fast schon ein bisschen detektivisch vor. Nach Ausfüllen des Fragebogens wertet trivago die Daten für sich aus, um das eigene Angebot zu verbessern und um dem Hotel Feedback zu geben. Als Tester darf sich übrigens jeder bewerben, das ist kein Blogger-Goodie ;)
Stichworte: design, essen, Glasgow, jugendstil, kunst, mackintosh, staedte, willow tea room