Wie ich Budapest 22 Jahre später neu entdeckte
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This Used To Be My Playground

Wie ich Budapest 22 Jahre später neu entdeckte

Ganz ehrlich: es wäre ein Leichtes gewesen, einen weiteren Regensong aus dem Hut zu zaubern… oder auch die Gypsy Woman, die ich heute traf… aber irgendwie ist das ein Trip, der mich an meine Kindheit erinnert. Das ist das Land, wo es in kargen Ostzeiten Coca Cola gab und überall nach entweder Paprika oder Fischsuppe mit Paprika duftete – mein Ungarn. Ich war zwar auch als Teenager einmal in Budapest, aber das war eine Klassenfahrt, an deren Verlauf ich mich nicht mehr erinnern kann. Die nächste Erinnerung führt also zurück ins Jahr 1987. Kinders, ich werd alt, das ist 22 Jahre her!

Wie dem auch sei, damals lief im (Blaupunkt)Autokassettenradio etwas von Mordern Talking, soviel kann ich zugeben, und auch gleich auf meine Erzeuger schieben – ich hab das teuflische Potenzial von Dieter B. & Thomas A. natürlich damals schon durchschaut und keinesfalls favorisiert. Deshalb kann ich mich auch noch sehr gut an Van Halens „Jump“ erinnern und Opus‘ „Live is Live“ – alles das erste Mal auf Ungarnfahrten zu Ohren bekommen. Ums kurz zu machen, für ein DDR-Kind war Ungarn fast der Westen und Urlaub am Balaton allemal besser als die kalte Ostsee.

Umso mehr freu ich mich über die Einladung vom Tourismusamt, mir das Frühlingsfestival in der Donaumetropole anzusehen und auf diesem Wege die Stadt noch einmal ganz neu zu entdecken bzw. überhaupt, denn viel ist da in der Erinnerung nicht hängen geblieben – die Fischsuppe war stärker. Das soll nun anders werden und fängt schon mal mit der Airline an: Malev gab es 1983 noch gar nicht, als ich das erste und einzige Mal nach Budapest geflogen bin. Dafür gibt es heute keine Interflug mehr… Da spazierte jedenfalls schon ein echter Magyar durchs Flugzeug, mit Schnauzer und Käppi wie aus einem Sissi-Film. Hatte auch ein bisschen das Gesicht von Stalin – kann am Schnauzer gelegen haben. Joseph hieß er trotzdem, der Kapitän :D Joseph hat uns mit Planübererfüllung (und Rückenwind) sicher auf den Boden gebracht, und da hingen die Wolken schon mal tief. Den Weg vom Flughafen in die Stadt fand ich bunt plakatiert vor. Egal wie brüchig die Hauswand oder das Geländer ist, ein Poster passt immer noch – fällt mir in Berlin nie auf sowas. Aber da ist ja auch alles vollgesprüht, was man eventuell als Plakat erkennen wollen würde.

Zurück nach Pest, denn da bin ich untergebracht. Und da bin ich gestern schon mal kurz umhergeschlendert. Im ersten Metroschlund kam dann auch die Erinnerung an die besonders steilen und langen Rolltreppen zurück, gleich danach: Paprika in der Luft! Keine Ahnung woher, aber es duftete nach frischen Paprika und das im U-Bahnhof zwischen lauter Feinbäckern und FastFoodKetten, die es zu Ostzeiten übrigens nicht gab. Auch die Modelabels auf der Vaci Utca (große Tourimeile) gabs es damals nicht. Nach Pörkölt (Gulasch-Pfanne, in dem Fall mit Hähnchenteilen), das fast wie Omas geschmeck hat und Souvenirschau im Regen, hab ich mich für die Palatschinken in Schokosauce in ein Cafe verkrümelt, wo bereits die AC/DC-Jünger beim Kakao saßen und auf den Startschuss warteten. Hätt ich das vorher gewusst! Das wäre ein ordentlicher Auftakt für ein Frühlinsfestival gewesen. Aber leider zu spät für mich und daher muss ich die nächsten Abende mit Kunst und Kultur aus anderen Zeiten und Sparten klarkommen. Davon aber erst morgen.

Heute ging es mehr um Sehenswertes. Vom Gellerthügel auf der Buda-Seite hat man beispielsweise einen guten Blick über die Donau und nach Pest. Leider sahs ohne blauen Himmel und Sonnenschein nicht so optimal aus. Man erkennt immerhin die strategisch wichtigen Punkte: Kettenbrücke, Elisabethbrücke, Schloss Buda und das Parlament. Als Kind hat mir meine Budapester Tante die Namen der 7 Hauptbrücken beigebracht – heute bekomm ich nur noch 5 zusammen, und es sind mittlerweile sogar 10 insgesamt. Die älteste und schönste und nachts angestrahlte ist die Kettenbrücke mit den beiden Löwen an jeder Uferseite. Das wollte ich heute abend mal fotografieren, allerdings war ich vor der Erleuchtung da und wurde zum Dank für meine Überpünktlichkeit in eine dunkle Regenwolke geschleudert.

Und wenn es nicht regnet, dann bläst einen der Wind die Frühlingsgefühle aus dem Hirn. Am Vormittag waren wir an so einigen windigen Ecken unterwegs. Z.B. im 8. Bezirk = die Josefstadt = das Zigeunerviertel. Selbst da gibt es Unterschiede wie ich heute gelernt habe. Zigeuner ist nicht gleich Zigeuner. Und nicht alle sind Tagediebe und Kriminelle. Wir haben die Familie Kiss (ss=sch) besucht, die offensichtlich besser leben als mancher von uns. Und das nur, weil Papa Kiss jeden Abend in einem Restaurant und auf dem Markt die Geige zupft und quält – staatlich geprüft und besiegelt. Musikerzigeuner gehören der höchsten Kaste an. Und entgegen meiner Schulbildung, dass die Sinti und Roma einst aus Indien kamen, meinte Mama Kiss, sie seien Nachfahren der Ägypter, ganz wie es der angeblich irreführende Name Gypsy ja besagt.

Meine Kenntnisse über Völker wurden heute alle etwas durchgerührt. Unser Tourguide wollte die Ungarn kein Steppenvolk aus der Mongolei mehr sein lassen, schließlich hat Dschingis Khan sie persönlich auszurotten versucht. Mit den Finnen wollen sie auch nicht mehr verwandt sein – kein Wort klinge ähnlich… Habe tatsächlich wenige Äs entdecken können, dafür umso mehr Ös und genau wie im Finnischen: Ys en mass. Und eine israelische Kollegin wollte Ähnlichkeiten zwischen Persern und Ungarn entdeckt haben – sie wollte aber auch die Bahai als Religion bezeichnen, und zwar als eine sinnvolle. Nunja.

Soweit das Sightseeing zwischen den Palästen der Zigeuner (und Intelektuellen, denn die zogs auch in dieses Billigviertel) und einem Ständchen von Herrn Kiss. Abends sollte/wollte ich eine Ausstellung bewundern, in der ein Künstler Pflanzen und deren Besitzer in ein besonderes Licht rücken will/wollte. Ich erschien, aber der Laden war dunkel wie die Kettenbrücke. Der Künstler habe noch nicht fertig die Planzen eingesammelt. Macht er morgen, ich solle mal wiederkommen. Dafür standen in dem Laden interessante Exponate einer anderen Gruppe herum: Sitzmöbel aus Plakatbezügen, die recyclen auf diese Weise diese riesigen Banner und Werbeplakate und machen Sessel draus. Ein paar Blumen waren auch schon da. Mal schauen, ob ich den Rest-Dschungel noch zu Gesicht bekomme!

Morgen guck ich Jugendstil an und gedenke weiter meiner Jugend…
Jó észjakát!
Claudi

Ich reiste auf Einladung von Ungarn-Tourimus

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