Wie mich der Herbst nach Moabit wehte
Herbst in Berlin. Seit Tagen beobachte ich ihn aus dem Augenwinkel, schiele zum Nordfenster raus. Und verstecke mich dann wieder. Meist ist er grau, manchmal blassblau oder grell weiß und drückend zugleich. Am liebsten mag ich ihn nach 17 Uhr, wenn die bunten Neonlichter der Reklametafeln die Tristes wiederbeleben. Am liebsten beobachte ich Herbst von drinnen, an die Heizung gelehnt und mit einem Milchkaffee im Anschlag.
Herbstspaziergang mit Handy
Heute mache ich eine Ausnahme. Ich gehe raus! Der Wetterbericht hält was er verspricht: kein Regen, trotzdem ist es hellgrau und trüb am Himmel, umso bunter auf den Wiesen und Rabatten, wo keine Anwohner zum Fegen vorbeikommen. Ich fahre nach Moabit, da war ich noch nie unterwegs, nicht einmal in sieben Jahren Berlin. Sie haben mich geködert: mit einem Photowalk für Smartphone-Nutzer, organisiert von yourfone.de. Irgendwann musste es kommen, der Druck der Reisebloggerei. Wer nicht live von unterwegs im Minutentakt Bilder schickt, ist im Nachteil. Seit Juli gewöhne ich mich an Touchtastaturen, Apps und endloses Scrollen. Nun steh ich da, mit einem Lumia und bin immer noch kein Instagrammer.
Moabiter Brückenbären
In Moabit laufen wir mit einem famous German Instagrammer durch die Straßen, den kleinen Tiergarten und die Markthalle. Während Insta-Thomas an jedem Fotostopp Tipps zu Bildausschnitten, Belichtungsstufen (aufm Handy?!) und seinen Lieblings-Apps gibt, erzählen die Mädels von Mit Vergnügen Berlin etwas zum Stadtteil. Wir wandern an der Spree entlang, an der die Weiden dem Herbst noch trotzen. Wir schlendern über die Moabiter Brücke mit den vier Bären, die im Schatten der Weiden den Zugang zur Brücke bewachen. Diese Bären sehen nicht so kuschelig und naturgetreu aus, wie man sie sonst so als Statuen findet, umso mehr mag ich sie.
Markthalle mit Kronleuchter
An der Markthalle betonen die Stadtführerinnen, dass diese im Gegensatz zur Schwester in Kreuzberg nicht-hipsterig ist. „Hier gehen wirklich nur Einheimische einkaufen und brunchen.“ Klingt immer gut, wer ist schon freiwillig gern Tourist? Zwischen rotierenden Hähnchenschenkeln (ich glaub, Broiler sagt dieser Teil der Stadt auch heute noch nicht :D) und dem fetten Hecht am Fischstand wird mir ein Burger mit Nutella und Zimt gereicht. Was soll ich sagen: Fleisch und Zimtjoghurt liebte ich dereinst in Syrien im Schawarma – kann nicht verkehrt sein. Und ja, die Nutellanote macht ihn nicht schlechter! Watt wia allet ham in Berlin, wa?!
Die Arminiusmarkthalle ist nicht außergewöhnlich groß, auch kein Jugendstilbau wie in Budapest, aber der rote Klinkerbau hat auf seinen wenigen Quadratmetern ein paar auffallend hübsche Ecken zum Brunchen. Nix Bierzeltgarnitur! Hier wird an einem massiven Holztisch (der „Mutter aller Tische“) unterm Kronleuchter bis in den frühen Nachmittag hinein Kürbissüppchen und Kaffee genippt, Stoffservietten inklusive. Die Gourmetecke des Hofladens ist nicht zu verfehlen, Kübelpalmen weisen den Weg. Man kann auch der Pianomusik folgen. Zwischen Äpfeln und Eiern steht da ernsthaft ein Modell Boston und wird virtuos von einem Hamburger Herrn bedient. Gegenüber darf Wein gekauft und verkostet werden… da kann man den Vormittag verbringen.
Kleiner Tiergarten
Nach dem Burger-Häppchen zieht die fotografierende Meute zum Kleinen Tiergarten. Er ist wirklich klein. Und wird von Hauptstraßen begrenzt, die immer in Hör- und Sehweite sind. Hier wird der Herbst endlich bunt. Ich erstelle ein kleine Herbarium mit meinem Handy, während Insta-Thomas eine weitere App anpreist, die den Horizont begradigen kann… und noch eine, die noch mehr Filter hat. Im Blätterhaufen kniend blättere ich durch meine bisherige Ausbeute. Und verstehe langsam, warum diese Filter so wichtig scheinen. Sie kaschieren Lichtprobleme, falschen Weißabgleich und diverse andere Problemchen, die so eine Handykamera im Automatikmodus verursachen kann.
Ich werde lernen müssen, entweder die begrenzten Einstellungsmöglichkeiten meines smarten Phones in den Griff zu bekommen oder eben doch Filter zu benutzen. Ich vermisse meine Kamera. Ich muss noch einmal hierher kommen. Der Kleine Tiergarten wird eh gerade „umgestaltet“. Und so halb abgeblättert wirkt er gerade auch nicht sehr attraktiv, der drückende weiße Himmel kann ihn auch nicht aufwerten.
Tiere sehen wir im Tiergarten heute nicht. Eichhörnchen vermute ich, ein paar Vögel sicher auch. In alten Zeiten sollen sie hier Wildtiere gehalten und gejagt haben. Was man so alles erfährt. Im Großen Tiergarten übrigens auch – wobei da sicher auch heute (ungewollt) Wildschweine und Waschbären durch Herbstlaub schnüffeln und nach Futter suchen. Da fällt mir ein, im Großen Tiergarten war ich auch nie so richtig. Auf den Straßen drumherum, ja. Von der Goldelse draufgeguckt auch. Später mal. Heute hake ich erst einmal Moabit ab, ein weißer Fleck auf meiner Berlinkarte, der sich in warme Herbsttöne wandelt. Morgen sitze ich wieder am Fenster und schreibe von vergangenen Reisen und vergangenem Sonnenschein…
Zum Photowalk wurde ich von Yourfone.de eingeladen, die mir dafür ein WLAN-Paket zur Verfügung stellten. Danke dafür!
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