Wie eine Weltreise ohne Gepäck auftaktet
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Wie eine Weltreise ohne Gepäck auftaktet

Geneigte Leser,

die Tatsache, dass euch diese Nachricht erreicht, will meinen: Sie hat es geschafft! Damaskus – die Mutter aller Städte hat uns mehr oder weniger liebevoll in ihren verdreckten Schoß aufgenommen!

Und jetzt habt ihr was zu lachen:

Freitag der 13.

Wir starten am Freitag, den 13. Erste Ansage am Flughafen Frankfurt: „Ihr Flug wurde gestrichen, Sie müssen umbuchen“ Wir nehmen’s noch gelassen, denn der Ersatzflug liegt angeblich nur 15 Minuten dahinter, immer noch genug Zeit, um in London von 1 nach 4 zu kommen – in 75 Minuten. Leider verschiebt sich der Ersatzstart um 40 Minuten. Zum Trost sehen wir London dafür richtig lange aus der Luft… wir kreisen! Die Zeit tickt, mittlerweile hat man eine Eskorte gestellt, um uns übers Rollfeld zu kutschieren… auch schön.

Über London und Beirut nach Damaskus

Der Flieger nach Beirut hebt zwar auch unpünktlich ab, aber das ist ja nun auch schon Wurscht. Gegen 4 Uhr landen wir in Beirut. Es ist nach Mitternacht, der 13. demnach vorbei, ich erwarte nur Gutes von diesem neuen Tag. Ich taumle schlaftrunken aus dem Flieger und zur Kantine des Beiruter Flughafens, wo wir auf Airlinekosten eine Cola süffeln und ich weiter im Sitzen vor mich hindöse, das kann nur ein guter Tag sein. Zur besseren Bequemlichkeit breite ich mich über eine Stuhlreihe aus und schlafe ein, während Beirut aus der Nacht erwacht und im Regen versinkt.

Nach fünf Stunden geht der Flug weiter, über Damaskus schwebte zuvor Nebel und nun endlich wir! Ich verpenne den Anflug, und das als Fenstersitzer. Gab einen Rüffel dafür in die Rippen. Mensch, ich bin fast 30 Stunden zwischen halbwach und halbschlafend geschwebt, hatte einen tierischen Wodka-Kater zu verdauen und dann ist mir eben scheißegal, welche Farbe die Landebahn von Damaskus hat!

Syrien-Visum

Es folgt die Szene an der Passkontrolle. Wird der Reisepartner durchkommen? Ich stell mich beim Geldwechsler an und tausche sämtliche vorhandenen US-Dollar (kreatives Weihnachtsgeschenk der Familie) in Syrische Pfund. Derweil füllt die Reisebegleitung seine Entrance-Card aus. Es gibt drei Kontrollkabinen mit jeweils zwei Zöllnern besetzt, von denen einer in der Nase bohrt und der andere einfingerig Ausweisdaten in einen C64 eintippt. Mein Visum wird schnell erkannt, Stempel drauf und fertig.

Eigentlich würden sie auch diesen eigenartigen anderen Europäer ein Visum in den Pass drücken, aber sie wissen mal wieder nicht, wo es liegt und was man Menschen aus diesem kleinen Land im Nordatlantik für so einen Stempel berechnet. Ein Atlas wird konsultiert, von hinten nach vorn durchgeblättert, der Reisepass auch noch einmal durchforstet, und schließlich einigt man sich auf 32 Dollar.

Dollar sind auch in Syrien beliebt

Dollar? Ich habe doch aber gerade alle Dollar getauscht! Und was ist das für ein Problem, die verdammten Dollars in Pfund umzurechnen? Ich drücke dem Reisepartner ein paar hundert Pfund in die Hand, soll er sich anstellen und zurücktauschen, nach 45 Minuten Pass-Prozedere fehlen mir die Nerven. “Ich geh schon mal und hole das Gepäck.“ und gehe ab.

Die Sache mit dem Gepäck

Ja, das Gepäck. Wo ist das denn? Im Gepäckraum ist niemand mehr, ein paar einsame Koffer stehen da herum, aber keine Kraxen. Ich bin am Ende, todmüde und jetzt auch noch einem syrischen Zollbeamten erklären, dass man Gepäck vermisst. Am Lost Luggage Service sitzt die Kopie von Ralph Fiennes in einem langen grauen Wollmantel und erklärt mir nach einem intensiven Blick in seinen C64, dass einer unserer Rucksäcke noch in London verzeichnet ist, der andere wird vom System nicht lokalisiert. Ich bin zu müde zum Durchdrehen, aber das tut ja der Reisepartner schon für mich.

Ralph F. tut sein Bestes, verspricht er. Wir sollen einfach morgen wiederkommen, um die eine Kraxe abzuholen. Ralph kennt auch den Hotelmanager des Al Majed, der uns eigentlich vor 6 Stunden mal ein Taxi herschicken wollte (das hat sicher nicht gewartet) und ruft ihn an. Der Manager schickt nach Ralphs Aussage ein weiteres Taxi los und wird sich auch wegen des Gepäcks kümmern und wir sollen einfach mal abwarten.

Abentauer Taxi

Fein, wir stellen uns etwas bedröppelt und gepäcklos in die Flughafenhalle, lassen uns Blondies von den Einheimischen und Verschleierten begaffen und warten. Keiner von uns will wie bestellt und nicht abgeholt enden, also siegen Ungeduld und Schlafentzug (noch immer!) über die Warterei. Ein anderes Taxi wird’s auch tun, stehen ja genug davon vor der Tür. Unsere Wahl fällt auf ein gelbes Gefährt mit einem lustigen Burschen am Steuer, dessen Fahrstil gar nicht so schlecht sein kann wie seine Zähne es sind!

Syrien Verkehr in Damaskus

Er rast mit 180 km/h auf einer zweispurigen Autobahn entlang, auf der alle kreuz und quer fahren, meist neben der Spur oder Fahrbahnmarkierung. Kein Wunder, dass hier jedes Auto verbeult ist. Jeder hupt gegen jeden. Achmed, so haben wir ihn gerade getauft, weil er kein Englisch (und wir kein Arabisch) spricht und uns seinen Namen sagen könnte, schimpft auf einen alten Trecker, der da gerade ganz gemütlich zwischen den Fahrbahnen tuckert. Ein „Donkey“ sei das, meint unser Esel, der ihm mit seinen 180 Sachen beinahe reingebrettert wäre!

Autobahnfahrt der besonderen Art

Angeschnallt ist von uns niemand, es gibt auch keine Gurte. Achmed fährt, hupt und bremst wie ein Henker, der Ärger mit dem Gepäck ist angesichts der momentanen Todesvisionen fast vergessen. Hier geht es eher ums nackte Überleben. Wohl auch für die Mama mit ihren drei Kindern, die die Autobahn zu Fuß überqueren wollen. Die sind selbstverständlich auch „Donkeys“.

Rund um die Autobahn ist das Land platt und staubig, ein paar Bäume und vor allem riesig Reklameschilder kennzeichnen das seitliche Ende der Fahrbahn. Sieht nicht gerade aufregend aus. Wir verlassen endlich diesen höllischen Highway und fahren in die Stadt ab.

Erster Eindruck Damaskus

Stadt? Wohl eher Schlacht! Ist hier Krieg? Wessen und wie viele Bomben haben das angerichtet? Alles in Schutt und Asche. Dass in diesen Behausungen Menschen leben, kann ich mir nicht vorstellen, aber dazwischen laufen eindeutig Menschen herum. So hab ich mir die „Mutter aller Städte“ nicht vorgestellt. Hin und wieder blitzen ein paar Moscheen und Minarette durch das Schlachtfeld. Ich bin erschüttert.

Städtebaulicher Zerfall und Diktatorkult

Das Taxi drängelt sich zwischen viele andere, von Fahrspur nicht sie Spur zu sehen. Der Stärkste gewinnt und hupt vorne weg. Einige Gassen und misstrauische Verdachtsmomente später biegen wir an einem kunterbunt plakatierten Kino in die „Straße des 29. Mai“. Arabische Leuchtschrift an grauen Häusern, die fast zerfallen oder schon Schutt sind. Von allen Fassaden prangen die Abbilder Präsident Assads und seines Vaters – Diktatorkult. Wir erreichen zu unserem eigenen Erstaunen das Hotel Al Majed (auf der Werbetafel vor dem Haus heißt es übrigens „Al Maged“) und zahlen Achmed die geforderten 600 Pfund (ungefähr 7 Euro, die ich angemessen finde) für eine rasante Fahrt, die wir wider Erwarten überlebt haben, das sollte es Wert sein.

Transportmöglichkeiten in Damaskus

Endlich Durchschnaufen

Das Einchecken geht schnell und ausnahmsweise problemlos, die zwei Stockwerke bis zum Zimmer bringe ich auch noch tapfer hinter mich und dann gibt es nur noch eins: Schlafen! Es ist 12 Uhr mittags, draußen ruft der Muezzin und wir klettern eilig aus den Klamotten, die wir seit über 30 Stunden am Leib tragen und schlüpfen unter unsere Decken. Natürlich ist im Januar auch in Damaskus Winter, durchs Fenster zieht die 9 Grad kalte Luft. Die Ruhe wehrt nicht lange. Bin um 17 Uhr völlig neben der Spur, weil viel zu früh geweckt worden.

Hoteleingang zu Al Majed

Furioser Weltreise-Auftakt – nicht so ganz

Im ersten Schritt geht es um Essen, in erster Linie jedoch um ein Internetcafe. Im Hotelrestaurant gibt im Schein des Neonlichts hinter grünen Plastikscheiben Milchshakes und gegrilltes Hühnchen, auf Alkohol braucht man hier nicht setzen. Stattdessen sitzen wir im Internetcafe herum. Draußen jammert schon wieder der Muezzin. Wenn die Gebete vorüber sind, quält uns ein Lautsprecher neben dem Hotel mit arabischer Diskomusik. Die reinste Gehirnwäsche! Wir drehen den Fernseher auf und versuchen mit den Nachrichten gegen die Klänge des Orients anzukämpfen, vergebens. Bis spät in die Nacht jault die Musik. Vermisse meinen Schlafsack, hoffentlich kommt der bald nach.

Alles wird gut.

Bis bald
Claudi :)

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