Scrimshaw – Aussterbendes Handwerk von den Azoren
Bei der Ankunft in Horta auf der Insel Faial wird gleich klar: Wer hierherkommt, ist entweder Segler oder ein Walspotter. Manche gehen auch tauchen – neuerdings füttern sie Blauhaie an, damit es was zu sehen gibt. Die Segler sind Atlantiküberquerer, die in der weltbesten Segler-Kneipe „Peter Café Sport“ absteigen und sich mit Wimpeln verewigen, Crew auflesen können oder hier abgegebene Nachrichten einholen.
Freiluftgalerie: Kaimauer von Horta
Außerdem müssen sich alle Segler auf der Kaimauer von Horta registrieren – mit Farbtopf und Pinsel – sonst gibt’s Unglück. Das entstandene, bunte Kunstwerk birgt echte Schätze, kann man stundenlang dran langschlendern und angucken, wer da so alles woher angesegelt kam.
Institution in Horta: Peter Sport Café
In Peters Café soll es den besten Gin Tonic geben, ich trinke Kaffee und kaufe Briefmarken. Mancher Segler kauft hier auch ein Walzähnchen zur Erinnerung. Im Oberstübchen führte mich Peters Sohn und heutiger Inhaber in dritter Generation José Henrique Azevedo durch die Walzahnsammlung der Familie, die er auf Anfrage seinen Besuchern als Scrimshaw-Museum vorstellt.
Scrimshaw-Museum in der Oberstube
Die Zähne sind graviert mit Walfangszenen, Schiffen, Porträts, Meerestieren und sogar Pinup-Girls. Was auf den Walfangschiffen von den Seemännern begonnen wurde, setzte sich an Land als echte Kunstform durch. Familie Azevedo sammelt seit den 60er Jahren die schönsten Stücke.
Wirklich wertvoll sind die Pottwalzähne seit den 80er Jahren, weil seitdem das Material für dieses Gravur-Handwerk ausgeht: Wale dürfen nicht mehr gejagt werden, ihr Elfenbein nicht mehr gehandelt. Entsprechend steht da in den Vitrinen ein Millionenwert in Form von 1000 Walzähnen, die irgendjemand mal romantisch verklärt zum „Elfenbein der Meere“ erklärte. Wenn man bedenkt, dass ein Pottwal 48 Zähne hat, dann stehen hier… nein, wir rechnen das lieber nicht aus. Die Verschönerung von Zähnen oder Knochen getöteter Tiere muss nicht jedem gefallen. Wer sich mit den Azoren und der Walfang-Geschichte des Archipels beschäftigt, wird zwangsläufig auf dieses Handwerk – oder ist es Kunst? – stoßen.
Scrimshaw – Kunst und Handwerk am Pottwalzahn
Mit Walfängern aus Amerika hat es begonnen: der Walfang auf den Azoren und auch das Handwerk des Scrimshaw. Noch heute beherrschen einige Meister diese Art der Gravur und betreiben zwangsläufig als die letzten ihrer Art das kostbare Handwerk. Der beste und billigste in der ganzen Welt, sagt er selbst, ist John van Opstal – dabei ist er nicht einmal gebürtiger Azoreaner. Mich interessiert altes Handwerk – aus welchen Gründen es auch entstand. Und daher besuche ich John van Opstal in seinem Studio zuhause.
Scrimshaw-Technik: Dunkelblau auf Elfenbein geritzt
Der Holländer kam vor 25 Jahren als ausgebildeter Grafiker auf die Inseln und entdeckte das Scrimshaw-Handwerk erst zögerlich. Aber irgendwann griff er schließlich zu Nähnadel und Tusche. „Man poliert den Zahn, tuscht den Zahn, graviert das Motiv ein und tuscht erneut. Aus dem Negativ wird so das Positiv: dunkelblau auf Elfenbein.“ So einfach ist das. Er führt mir die Scrimshaw-Technik in seinem Haus auf Faial vor. Am liebsten würde ich mitmachen, aber das Material ist zu wertvoll für Versuche.
Der alte Herr lacht, für ihn ist das nach mehr als 20 Jahren natürlich kein Hexenwerk mehr. Bisher hat er ungefähr 6000 Zähne ge“scrimmt“, mittlerweile ist ein Zahn ein Tagewerk. Einige seiner Arbeiten sind sogar im Scrimshaw-Museum von Familie Azevedo ausgestellt.
Pottwal-Elfenbein war früher Abfall
Nachschub zum Schnitzen bekommt er immer wieder von Einheimischen verkauft, die sie noch im Hausrat lagern – zu Walfangzeiten war das die Bezahlung der Fänger, weil Abfall und wertlos für die Industrie. Mit dem schwindenden legalen Rohstoff, explodieren natürlich die Preise für den noch vorhandenen. „Um die 60 Euro pro Kilo“, gibt der rüstige Herr seinen Ankauf an.
Für einen gravierten Zahn mit dem Porträt der Liebsten – ja, mancher Matrose mag so etwas – bekommt er je nach Gewicht des Kauwerkzeugs bis zu 900 Euro.
Die Natur als Motivvorlage fürs Scrimshaw
Am liebsten malt er die traditionellen Motive „Walfangszenen, Mensch gegen Kreatur, Wal gegen Riesenkalmar und die Schiffe natürlich“ sagt der Holländer. Van Opstal wohnt in exponierter Lage, hoch am Hang mit Blick auf den Pico und Faials Hauptort Horta. Er hat auch einen ganz vorzüglichen Blick auf den Ozean zwischen den Inseln. Er gehe sehr oft und gern auf Walbeobachtungstouren, um seine Lieblingsmotive zu studieren.
Wer Van Opstal besuchen möchte, sollte vorher einen Termin vereinbaren. Es könnte nämlich sein, dass John gerade bei José im Peter Café Sport sitzt. Dort traf ich ihn nämlich schon, bevor ich ihn Zuhause besuchte. Ich habe mir übrigens auch einen Scrimshaw-Zahn gekauft – einen falschen natürlich – im Souvenirgeschäft auf Sao Miguel ;)
Stichworte: faial, handwerk, kunst, künstler